Ruhpolding – Bei diesem Weltcup haben die Biathlon-Fans auch mal eine ganz andere männliche Stimme kennengelernt. Klar, die von Harald von Knoerzer-Suckow kennt man, die von Karlheinz Kas erst recht. Nun hat man auch die von Dominic Reiter gehört. Der frühere Profisportler kennt die Chiemgau Arena von zahlreichen Trainings und Wettbewerben, jetzt war er erstmals am Mikrofon im Einsatz.
Entstanden ist die Idee im Vorjahr, als Reiter beim Weltcup in der Arena war und dann auch beim Helfergrillfest mit den Verantwortlichen ins Gespräch gekommen ist. „Und dann haben sie gesagt, dass es wahnsinnig schwierig ist, Leute zu finden, die Lust darauf haben und sich im Idealfall auch noch auskennen. Dann habe ich mir damals schon gedacht: Das würde mich eigentlich jucken“, erzählt Reiter, der zudem viele alte Bekannte getroffen hat: Anna Grießenböck, die englische Stimme in der Sprecherkabine, Marco Fischer, Max Hermann, der Wettkampfleiter, Tamara Lankes im Wettkampfbüro – „wir waren alle aus einer Trainingsgruppe früher“. Reiters Entschluss reifte immer mehr: „Und dann habe ich im Herbst den Hipf Hermann (OK-Chef, d. Red.) und den Harald (von Knoerzer-Suckow, d. Red.) angerufen und gesagt, dass ich Lust hätte, was zu machen. Dass ich auf jeden Fall die ganze Woche da bin. Am liebsten mit Mikrofon.“ Und schon war er mit dabei, ehrenamtlich natürlich, wie die vielen anderen Helfer während der Weltcup-Tage.
Und das eigentlich ohne große Vorbereitung. „Testballon gab es keinen“, meinte Reiter, „wir haben am Tag vor dem Wettkampf nur mal kurz getestet, wie das mit der Verzögerung ist. Weil es doch noch mal was anderes ist, wenn man in einem Raum vor Leuten redet oder im Stadion, wenn man sich mit einer halben Sekunden Verzögerung selber hört. Es hat gut funktioniert.“ Und dann legte er los. Das erste Interview war mit Daniel Böhm, dem Sportdirektor des Weltverbandes IBU. „Ich war gut vorbereitet und das hat super viel Spaß gemacht“, erzählt der gebürtige Traunsteiner. Und wie groß war die Nervosität? „Die ist immer die gleiche. Aber für mich ist das etwas Positives. Das kenne ich vom Sport noch.“
Von dem Sport, den er mit Leidenschaft und großer Hingabe betrieben hatte. Und erfolgreich: In der Saison 2015/16 hat Reiter die Premiere des IBU-Junior-Cups gewonnen – er war der erste Gesamtsieger und entschied auch die Sprintwertung für sich. Bei der Junioren-Weltmeisterschaft gab es Silber mit der deutschen Staffel, bei der Europameisterschaft Silber im Sprint. Reiter, dessen Papa Alois als Streckenchef der Chiemgau Arena für perfekte Bedingungen sorgt, war auf einem guten Weg. Doch dann kamen Verletzungen – und brachten den Ruhpoldinger von diesem Weg ab. 2020 folgte schweren Herzens der Abschied vom Profisport. „Ich hatte den Traum, Olympiasieger zu werden. Und an Tag X war klar: Das wird jetzt nichts. Und dann fällt der rote Faden erst mal weg“, berichtet Reiter. „Umso wichtiger war es für mich, das schnellstmöglich und vor allem bestmöglich zu verarbeiten, mich da langsam davon zu verabschieden, sich bei Leuten zu bedanken für die Unterstützung. Aber auch für mich selber einfach, dem kleinen Dominik, der mit sechs ins Freunde-Buch geschrieben hat, er mag Olympiasieger werden, zu erklären, dass das jetzt nicht funktioniert hat. Und ich habe mich da sehr aktiv, sehr viel mit mir selber beschäftigt. Und das hat wahnsinnig geholfen.“ Großen Abstand vom Biathlon brauchte er nicht, sagt Reiter – und erzählt davon, wie er im ersten Winter, nachdem er aufgehört hatte, „auf der Couch gestanden bin und mitgefiebert habe, wenn die Zimmerkollegen von zwei Jahren davor im Weltcup gut waren“.
Reiter hat sich dann vom Sportler- in ein anderes Berufsleben begeben. „Ich habe festgestellt, dass es mir viel Spaß macht, so moderative Rollen zu haben. In Abteilungen, in Teams, da habe ich viel gemacht.“ Mittlerweile lebt und arbeitet er in München, hat Wirtschaft studiert und in einer Unternehmensberatung gearbeitet. Aktuell arbeitet er für eine Firma, die Logistik-Software für Umzugsunternehmen entwickelt. Und er ist wieder sportlich aktiv. „Es war mir wichtig, dass ich gesundheitlich wieder einfach gut beieinander bin. Einfach die Bewegung, das Gefühl für den Sport, für seinen Körper, das gibt einem so viel. Und das kann man nicht kaufen, das kann man nur erleben“, erklärt Reiter. Und der 29-Jährige erzählt: „Ich habe damals den Entschluss gefasst, dass wenn ich in der Lage bin, einen Ironman zu machen, dann gesundheitlich wieder alles okay ist. Und das habe ich dann über drei Jahre aufgebaut und im dritten Jahr die Challenge Roth gemacht. Das war ein großes Erlebnis, sehr emotional durch die gesundheitliche Vorgeschichte, wirklich zu wissen, dass man sich auf den Körper verlassen kann.“
Seine wiedergewonnenen körperlichen Fähigkeiten hat er natürlich auch beim Weltcup genutzt. Immerhin war er auch draußen auf der Strecke, um interessante Sachen für die Besucher im Stadion herauszufiltern. „Ich habe von der IBU eine Startnummer gekriegt, dass ich ein bisschen auf die Strecke darf und ein paar Sachen filmen kann.“ Und wie war’s draußen? „Beim Loslaufen kitzelt es natürlich schon ein bisschen. Aber man muss fairerweise sagen: Biathlon macht nur Spaß, wenn man richtig fit ist. Und die Strecken sind sehr anspruchsvoll. Da ist es schon gemütlicher für mich, wenn ich im Drei-Seen-Gebiet zum Langlaufen gehe. Und wenn man mal versucht, zwei Runden schneller zu laufen, dann wird man relativ schnell daran erinnert, dass es doch relativ weit weg ist, um in der Weltspitze mitzumachen.“
Dafür trifft er die nun auf der Strecke: „Der Emilien Jacquelin hat gleich direkt abgeschwungen und ist stehen geblieben. Was machst du da? Schön, dich zum Sehen, und so weiter. Das war ganz cool, obwohl wir ein paar Jahre wirklich nichts miteinander zu tun gehabt haben“, freut sich Reiter. Der Franzose Jacquelin, Doppel-Weltmeister in der Verfolgung, ist sein Jahrgang. „Die Resonanz von der Sportlerseite war super“, meinte Reiter, der seine Nähe zu den Aktiven nutzen möchte, um „einfach die fachlichen Themen vom Biathlon und Sport ein bisschen näher zu bringen“. Denn der Ruhpoldinger will die Zuschauer gut informieren. „Es gibt Statistiken, dass ungefähr 50 Prozent zum ersten Mal da sind. Da kann man viel erklären.“
Reiter hat nicht nur Interviews mit den Athleten gemacht: „Wir waren in der Wachskabine und haben die vorgestellt. Da könnte man noch viel mehr machen, auch in Zukunft. Der Zuschauer im Stadion schaut den Wettkampf und sieht, dass alles in Ordnung ausschaut. Aber da steckt ja viel mehr dahinter. Und das ein bisschen näher zu bringen, hinter die Kulissen zu schauen, das ist der Gedanke dahinter, weil die Nachfrage dafür groß ist.“ Klingt ganz so, als sei Dominic Reiters Stimme auch im nächsten Jahr in der Chiemgau Arena zu hören.