Kolbermoor – Die Kolbermoorer Tafel hat am 16. September 2004 erstmals ihre Türen geöffnet. „Jetzt – 15 Jahre später – versorgt die Einrichtung rund 180 hilfebedürftige Kolbermoorer – darunter 40 Kinder“, erzählt die Initiatorin Dagmar Badura. Stellvertretend für die circa 180 Personen kommen jeden Mittwoch, um 15 Uhr, rund 40 Personen, um sich ihre Tüten mit Lebensmitteln füllen zu lassen. An einem Mittwoch hat die OVB-Redakteurin Ines Weinzierl nicht nur hinter die Kulissen geschaut, sondern auch mitangepackt – ein Selbstversuch.
Lebensmittel
sortieren
Bei der Kolbermoorer Tafel duzen sich alle – „Ich bin Ines“. Und schon gibt mir die ehrenamtliche Helferin Insa Kleinbauer Käse- und Wurstpackungen in die Hand. „Die sortierst du bitte nach dem Ablaufdatum“, sagt sie. Mache ich. 1. Oktober nach unten, 15. September nach oben und so weiter. Der Stapel wird höher, ich mache mehrere. Dann der Käse.
Es herrscht wuseliges Treiben: Vor dem Gebäude stehen die Kunden, die bereits alle eine Nummer erhalten haben. Der ehrenamtliche Helfer Errol Schneider ruft die Nummern nacheinander auf – so wird verhindert, dass es zu eng wird in dem kleinen Häuschen, das voller Lebensmittel ist.
Punkt 15.30 Uhr betritt eine ältere Frau das Haus, sie gibt ihre Nummer ab und geht zur Helferin Helena Rosin – sie verteilt das Brot. Anschließend gibt die Kundin einer der ehrenamtlichen Helferinnen ihre Tüte.
Alleinerziehende,
Kinderreiche und Alte
„Mögen Sie auch Joghurt?“, sagt Kleinbauer. Die Kundin nickt. „Davon haben wir heute sehr viel, deshalb fragen wir jeden, ob er Joghurt mag.“ Ich übe erstmal und halte Kleinbauer die Tüte auf. Joghurt, Käse, Wurst. „Auch gefüllte Tortellini?“, fragt Kleinbauer die Kundin. „Nein danke.“ Weiter geht es zum Gemüse und Obst, die Tüte wird schwerer, und Kleinbauer packt mehr ein: Trauben, Heidelbeeren, Pflaumen und dann Gemüse. „Eisbergsalat?“, fragt die Kundin. Na klar, der kommt auch in die Tüte.
Jetzt bin ich dran. Ein alter Mann steht vor mir, er hat schneeweiße Haare, spricht ganz leise. „Eine Person“, sagt er zu mir. Jeder teilt den Helfern mit, für wie viele Personen die Tüten gepackt werden sollen. Ok, eine Person. „Mögen Sie Joghurt?“, frage ich. „Ja.“ Ich packe ihm fünf ein. Tortellini? Ja. Obst und Gemüse nimmt er auch. „Kann ich eine Dose Suppe haben?“ Ich packe zwei ein. Möchten Sie noch etwas? „Nein, danke.“ Ich schiebe ihm die Tüte zu. Danke. Bitte.
In diesen Momenten wird man geerdet. Wie kann es in unserem reichen Land sein, dass das Geld nicht fürs Essen reicht? Bei einem Kunden, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, kam es plötzlich: „Ich war selbstständig“, erzählt er. Dann wurde er krank, arbeitsunfähig, drogenabhängig. Und: „Ich kann mir Lebensmittel kaufen, aber dann geht nichts anderes mehr“, sagt er. „Dann kann ich meine Wohnung nicht weißeln, nicht mal ein Eis essen.“ Der Rutsch ging schnell – „die Stütze reicht hinten und vorne nicht“, sagt er.
Wenn das Geld nicht
zum Leben reicht
Ich gehe wieder rein, denn es sind noch viele Kunden da. Ich gehe zu Kleinbauer, die nächste Kundin steht parat und gibt ihr ihre Tüte. Ich trage sie, Kleinbauer packt. „Die Frau kenne ich, sie kocht nicht gerne.“ Also befüllt Kleinbauer die Tüte mit Pellkartoffelsalat und Tortellini. „Das mag sie.“ Die Tafelmitarbeiter kennen ihre Kunden – auch ihre Geschichten.
Tafel-Helferin Brigitte List ist seit 2006 dabei. Sie kommt immer, nimmt sich die Zeit. Wie war es zu Beginn der Kolbermoorer Tafel? „Viele ältere Menschen sind gekommen, ältere Mütterchen, die vor ihrer Rente in der Spinnerei gearbeitet haben. Vielen war es unangenehm, zu kommen“, erinnert sich List.
„Die meisten Kunden sind Alleinerziehende, Kinderreiche und alte Menschen“, erklärt Badura, die auch mitanpackt, wie alle hier. Die Arbeit erfüllt, man gibt etwas zurück – an die Kolbermoorer, die nicht so viel Glück im Leben hatten. Sieben bis acht Helfer packen jeden Mittwochnachmittag von 15.30 bis 16.30 die Tüten voll.
Sie sind ein gutes Team, wollen helfen. Aber: „Es gibt auch Kunden, die undankbar sind“, sagen sie. Aber es sind wenige: „Etwa fünf Prozent“, sagt Badura, die den 15. Geburtstag der Tafel nicht feiern will. Von der Tafel Deutschland hat sie ein Dankesschreiben bekommen und eine Urkunde.
Kurz nach 16.30 Uhr sind alle Kunden versorgt. Jetzt wird aufgeräumt. Und nächste Woche geht es von vorne los, wenn die ehrenamtlichen Helfer die Lebensmittel von den Geschäften abholen. Dann werden sie in dem kleinen Häuschen sortiert, und Punkt 15.30 Uhr betritt der erste Kunde die Tafel, um seine Tüten füllen zu lassen.