Ins Zentrum des Trikont-Universums vorzudringen fühlt sich an, als würde sich der Fallschirm öffnen. Weg von der dröhnenden Tegernseer Landstraße, durch einen Bretterzaun. Holler und Oleander im Hinterhof-Idyll. Eine bunt lackierte Stiege hinauf, durch eine Küchentür. Das Leben wird mit jedem Schritt erträglicher, bis es schließlich nach Zimt und Kaffee riecht.
Trikont-Chef Achim Bergmann, 74, vom Lachen runzliges Gesicht, weißer Stoppelbart, schiebt das Gebäck rüber. „Wir wissen, was das für ein Privileg ist: Leben und arbeiten ist bei uns untrennbar verbunden.“ Seine Frau Eva Mair-Holmes, 60, bringt die Kaffeemaschine zum Röcheln und sagt: „Jede Band, die wir verpflichtet haben, hat hier den Vertrag unterschrieben.“ Jeden Tag gibt’s ein Team-Frühstück, wie in einer WG. Spätestens jetzt ist klar: Die Giesinger Plattenfirma Trikont funktioniert anders als andere Labels. „Für mich ist das eine Familie“, sagt Hans Söllner. Man glaubt’s ihm sofort.
Seit 50 Jahren gibt es Münchens ältestes Label nun, Künstler wie Söllner und LaBrassBanda wurden hier groß. Trikont macht sich um die Bewahrung bairischer Stimmen verdient und gräbt gleichzeitig Trüffel aus aller Welt aus, um sie für ein breites Publikum zusammenzustellen. Boleros der Zwanziger, psychedelischer Rock, vietnamesische Straßenmusik, Disco aus Istanbul und griechische Mörder-Balladen.
500 Platten sind laut Bergmann schon bei ihm erschienen. „Ich weiß schon, dass das Programm aussieht wie Kraut und Rüben“, sagt er. Aber für ihn ergibt das alles Sinn, wenn es seine Prinzipien erfüllt: „Es muss eigenständig, eigensinnig und selbstbewusst sein.“ Georg Ringsgwandl etwa. Dessen schrille Rock-Travestie ist Anfang der Achtziger beileibe nicht jedermanns Sache. Aber Bergmann glaubt dran. „Er hat mich nie in Richtung Kommerz gedrängt, sondern darin bestärkt, dass das Zeug originell und original sein muss“, sagt Ringsgwandl. „Das war seine Strategie.“
Ein typisches 68er-Gewächs: Achim Bergmann, immigrierter Sauerländer, startet Trikont 1967 als linken Buchverlag. Der Name steht für „drei Kontinente“, man will die Stimme Asiens, Lateinamerikas und Afrikas sein. Die Mao-Bibel wird ein Bestseller, ebenso die Bolivianischen Tagebücher Che Guevaras. Früh erkennt Bergmann die Kraft der bairischen Sprache. „Der Stammtisch ist eine urdemokratische Veranstaltung“, sagt er seinen Genossen, die ihm einen Vogel zeigen. Bergman kümmert sich nicht drum. Ihm ist es zu verdanken, dass etwa alte Aufnahmen des renitenten Gaißachers Kraudn Sepp wieder zugänglich sind. Als die Struktur der linken Bewegung in den Achtzigern„im Bürgertum zerbröselte“, wie Bergmann sagt, leidet der Buchhandel, man konzentriert sich auf Musik – kompromisslos, ohne auf den Erfolg zu schielen. Wobei Bergmann nichts gegen Erfolg hat – er hat auch schon dran geschnuppert. Das Akustik-Duo Dicke Lippe veröffentlicht 1978 auf Trikont einen Song namens „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt“. 1000 Mal verkauft er sich – respektabel. Jetzt werden aber auch große Firmen neugierig. Das Duo wechselt das Label, wird zu Geier Sturzflug und der Song als „Bruttosozialprodukt“ zu einem der größten Hits der „Neuen Deutschen Welle“.
Das sieht Bergmann sportlich. Der Hut geht ihm allerdings hoch, wenn einer gegen die Prinzipien verstößt. So wie Ringsgwandl. Der veröffentlicht 1992 auf Bergmanns Anregung alte Aufnahmen, rohe Stücke zur Klampfe, die sich um Tod und Depression drehen – die „Staffabruck“ betitelte CD wird ein Überraschungserfolg. Die Medien überschlagen sich vor Lob über den bayerischen Bob Dylan. „Ich dachte, das ist er, das ist echt, und in diese Richtung geht er weiter“, schnaubt Bergmann. „Und dann kam er mit dem Cover-Entwurf für seine nächste CD. Da hatte er eine Plastikente auf dem Kopf. Ich hab ihn gefragt: Willst Du mich verarschen?“ – „Die beiden haben sich so angebrüllt, dass wir alle aus dem Haus sind“, erinnert sich Mair-Holmes. „Ich dachte, die prügeln sich jetzt.“ Letztlich hätten sie zu ihren Künstlern tatsächlich ein Verhältnis wie Eltern, gibt Mair-Holmes zu. Da gibt’s eben Enttäuschungen. „LaBrassBanda haben uns gesagt, dass sie eine internationale Partyband werden wollen – und uns darum verlassen.“ Das sitzt noch tief, man sieht’s den Eltern an.
Das Schöne ist, dass die Trikont-Familie immer wieder Zuwachs bekommt. Kofelgschroa aus Oberammergau sind die neuen Stars, Hans Söllner bleibt das Zugpferd. Erfolgreiche Künstler finanzieren das Obskure. Ein Erfolgsrezept, das im turbokapitalistischen München unerhört ist: „Wir wollen nicht wachsen“, sagen die Label-Chefs. So hat Trikont seine Nische behauptet – mag sich die Welt drum herum noch so sehr verändern: Einen Steinwurf entfernt hat Schörghuber das Paulaner-Areal versilbert. Die obere Au und Giesing werden unweigerlich schick. „München ist verloren“, seufzt Eva Mair-Holmes. Falsch: Es besteht Hoffnung, so lange es das Trikont-Universum und seine Kommando-Küche gibt.
Informationen:
Feier am Donnerstag bei freiem Eintritt im „Farbenladen“, Hansastraße 31, 18.30 Uhr. Franz Dobler und Christoph Meueler lesen aus „Die Trikont Story“, Heyne, 464 Seiten; 30 Euro; dazu gibt’s eine Ausstellung. Um 20.30 Uhr geht es im „Hansa 39“ mit der Express Brass Band, Attwenger, Mrs. Zwirbl und den Zitronen Püppies weiter; Karten unter 089/ 54 81 81 81.