„Beim Spielen fühle ich mich frei“

von Redaktion

Johanna Wokalek über ihren neuen Film „Freiheit“, ihre Abneigung gegen Routine und den Reichtum des Lebens

Sie hat am berühmten Max-Reinhardt-Seminar in Wien studiert und war von 2000 bis 2015 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. Daneben hat Johanna Wokalek immer wieder Hauptrollen in Filmen übernommen, etwa in „Hierankl“, „Barfuß“, „Der Baader Meinhof Komplex“ und „Die Päpstin“. Im Kinodrama „Freiheit“, das morgen anläuft, verkörpert sie eine Berliner Anwältin, die nach 14 Jahren Ehe ohne Vorwarnung ihre Familie verlässt und eine neue Identität annimmt. Nach der Weltpremiere des Films beim Filmfestival von Locarno sprachen wir mit der 42-jährigen Schauspielerin.

-In „Freiheit“ spielen Sie eine Frau namens Nora, die ihren Mann und ihre Kinder verlässt. Dasselbe tut auch die Titelfigur am Ende von Henrik Ibsens Theaterstück „Nora oder Ein Puppenheim“. Haben Sie Ibsens Nora je auf der Bühne verkörpert?

Nein, nie. Ich habe immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, fand das Stück aber stets ein bisschen antiquiert. Allerdings hat mich schon immer die Frage interessiert, was aus Nora wird, wenn sie am Schluss die Tür zuknallt und geht. Lustigerweise habe ich die Nora bereits vorgesprochen, als ich mich fürs Schauspielstudium am Max-Reinhardt-Seminar beworben habe, und Klaus Maria Brandauer hat mir damals genau diese Frage gestellt: „Wo geht Nora eigentlich hin?“

-Was haben Sie geantwortet?

Ich habe spontan gesagt: „Sie geht nach Finnland in eine Blockhütte.“ Keine Ahnung, wie ich darauf kam. Aber ich habe seitdem immer wieder darüber nachgedacht, was mit Nora passieren würde, und Jan Speckenbachs Drehbuch zu „Freiheit“ war eine schöne Gelegenheit, sich damit auseinanderzusetzen: Wie ergeht es einer Frau, die versucht, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben?

-Glauben Sie, dass es möglich ist, seine Identität völlig neu zu erfinden?

Ich denke, dass das mit zunehmendem Alter komplizierter wird. Wenn man jung ist und sein Leben beginnt, hat man das Gefühl, man blättert immer mal eine Seite um, und die neuen Seiten sind noch ganz weiß. Doch je älter man ist, desto mehr hat man schon erlebt, das heißt, auf manchen Seiten steht schon etwas – zwar vielleicht nicht eingraviert, aber immerhin mit Bleistift geschrieben. So ergeht es auch Nora in unserem Film: Sie muss ihr neues Leben auf bereits beschriebene Seiten schreiben.

-Können Sie Ihre Filmfigur in „Freiheit“ verstehen?

Ich kann zumindest nachvollziehen, dass man, wenn sich etwas verengt in einem, weil man sich nicht mehr lebendig fühlt, unwillkürlich denkt: Jetzt muss ich etwas ändern in meinem Leben.

-Sie selbst haben mehrfach ein festes Theaterengagement gekündigt, ohne ein neues in Aussicht zu haben – in Bonn nach knapp zwei Jahren, am Wiener Burgtheater nach 15 Jahren. Haben Sie eine Abneigung gegen Routine?

Ja. Das sich Wiederholende empfinde ich in meinem Beruf als beengend – da besteht die Gefahr, dass das Feuer in mir erstickt wird, ohne das ich nicht spielen kann. Ich habe ja nur dieses eine Leben, und solange es mir gegeben ist und ich gesund bin, möchte ich das auch leben und mir neue künstlerische Herausforderungen suchen. Das Burgtheater-Ensemble liebe ich nach wie vor, es macht ja auch einen großen Teil meiner Biografie aus, aber ich dachte: Wenn ich diesen Schritt jetzt nicht gehe, dann gehe ich ihn nie mehr.

-Was bedeutet Freiheit für Sie?

Es ist schon eine unglaubliche Freiheit, dass ich entscheiden kann, welche Angebote ich annehme und welche nicht. Die größte Freiheit empfinde ich persönlich im Spiel: in den Momenten, in denen die Kamera läuft oder in denen ich auf der Bühne agiere. Das ist mein Raum der Freiheit, in den zunächst auch niemand eingreifen kann. Klar, hinterher kommt noch der Schnitt, das liegt dann nicht mehr in meiner Hand, aber im Moment des Spielens kann ich mich wirklich frei fühlen.

-Und außerhalb des Berufs?

Ich habe festgestellt, dass Freiheit gerade in unserer heutigen Gesellschaft mehr und mehr bedeutet, Zeit zu haben. Oder, um es mit einem schönen alten Wort zu sagen: Muße. Die ist schwerer zu finden, seitdem ich eine Familie habe. Sobald man Mutter wird, verändert sich das Leben radikal und man denkt manchmal: Ach, wäre ich doch frei! (Lacht.)

-Wie sehen Ihre Wünsche aus?

Ich wünsche mir fruchtbare Begegnungen mit Künstlern, auch aus anderen Kunstformen, wie ich sie beispielsweise mit Musikern und Komponisten habe, mit denen ich immer wieder eigene Abende entwickle – Begegnungen, bei denen man sich gegenseitig inspiriert und gemeinsam etwas erfindet. Das interessiert mich, nicht nur im Bereich von Film, Theater oder Musik, sondern ganz allgemein. Denn der wahre Reichtum unseres Lebens entsteht im Miteinander!

Das Gespräch führte Marco Schmidt.

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