Man muss dann doch ein paar Jahre zurückgehen, wenn man nach dem letzten überzeugenden Auftritt von Robert De Niro sucht. 1999 hat er als Macho-Polizist, der nach einem Schlaganfall seine Wut an seinem transsexuellen Sprachlehrer auslässt, noch einmal so intensiv und bewegend gespielt, wie man es von ihm kannte. Seitdem dreht er ununterbrochen, und er ist selbstverständlich nie schlecht – aber diese magischen De-Niro-Momente, die ganze Generationen von Kinogängern in ihren Bann geschlagen haben, die gibt es nicht mehr. Fairerweise muss man erwähnen, dass die Filme, in denen so etwas überhaupt möglich ist, ständig weniger werden. Aber es liegt auch daran, dass De Niro ein wenig die Leidenschaft, die Besessenheit verloren gegangen ist, die ihn bekannt gemacht hat – er hat es selbst eingeräumt.
De Niro war das Aushängeschild des „Method Acting“, der totalen Hingabe an eine Rolle bis zur Aufgabe der eigenen Persönlichkeit. Für „Der Pate II“ hat er sich Italienisch mit sizilianischem Dialekt angeeignet, für „New York, New York“ (1977) hat er Saxofonspielen gelernt, für „Die durch die Hölle gehen“ (1978), mutmaßlich die eindringlichste Darstellung seines Lebens, hat er Monate mit Stahlarbeitern verbracht. Seine spektakulärste Vorstellung hat er in „Wie ein wilder Stier“ (1980) abgeliefert: Ein Jahr lang absolvierte er ein professionelles Boxtraining, trat in drei Amateur-Kämpfen an (zwei gewann er) und futterte sich am Ende fast 30 Kilo an, um überzeugend einen übergewichtigen, alternden Boxchampion spielen zu können. Im Grunde hatte De Niro damit die Grenzen der Schauspielerei hinter sich gelassen.
Heute ist die Sache mit dem Zu- und Abnehmen für Rollen ein Klischee, bei De Niro war es die blanke Überzeugung, dass er nur so gehen könne. Aber er fühlte auch die Gefahr seines Ansatzes: Mit jedem neuen Film erwartete das Publikum einen weiteren aufsehenerregenden Stunt. Er begann wie verrückt zu drehen, es wirkte manchmal wahllos. Bereitete er sich früher Monate auf einen Part vor, steht er heute fast unablässig vor der Kamera, mittlerweile hat er über 100 Titel in seiner Filmografie. Aus dem geheimnisvollen Schauspielmysterium, das heute 75 Jahre alt wird, ist ein Gesichtsvermieter geworden. Ein sehr versierter natürlich, aber eben einer wie andere. Vielleicht wollte er das. De Niro war seit jeher fast schon pathologisch schüchtern, die Schauspielerei war eine Möglichkeit, der Isolation zu entkommen, wenigstens für eine Zeit. Genau weiß es nur er – und er erzählt nichts.
Der Mann ist legendär einsilbig, hasst Interviews und den Trubel in Hollywood. Heute ist er eher Geschäftsmann mit Restaurants und einem angesehenen Filmfestival, das er in New York aufgebaut hat. Dass er sich für Bürgerrechte und die Demokraten einsetzt, ist bekannt, ebenso wie seine Abneigung gegen den amtierenden US-Präsidenten, den er „unfassbar dumm“ nennt. Der zweifache Oscar-Preisträger war immer mit Afroamerikanerinnen liiert, ist Kunstsammler und hat am liebsten seine Ruhe. Der Wirbel um seine sensationellen Darstellungen hat ihm nie gefallen; er wäre ohnehin lieber Regisseur geworden. Zwei Mal hat er inszeniert, beides sind gute Filme geworden („In den Straßen der Bronx“, „Der gute Hirte“).
Aber das Geld kommt eben mit der Schauspielerei rein, und da nimmt De Niro mittlerweile alles mit. Mit Folgen. Oscarnominierungen gibt es kaum noch. Dennoch waren viele seiner Auftritte Kunst. So bedanken wir uns zum 75. Geburtstag bei Herrn De Niro für unvergessliche Augenblicke im Kino, die bestehen werden.