Mittlerweile ist er ein Gesamtkunstwerk. Als einer der wichtigsten Pianisten unserer Zeit. Und als aktiver Bürger, der sich – gern über Twitter – in den gesellschaftlichen Diskurs einmischt. Diese Woche ist Igor Levit zu Gast beim BR-Symphonieorchester, heute spielt der 31-Jährige im Herkulessaal nochmals Beethovens fünftes Klavierkonzert. Zugleich ist seine neue CD erschienen (siehe Kritik links).
Der Titel der CD ist „Life“, darauf sind Stücke, die nicht gerade von der Sonne beschienen sind: Das wirkt wie eine Lebensbilanz, die zwiespältig bis dunkel ausfällt.
Es ist tatsächlich so. Hinter mir liegen teilweise bescheidene Jahre. Freunde sind für immer gegangen, es tauchten Ängste auf, es gab Schlafverlust und Schlimmeres, ohne das jetzt zu vertiefen. All das war verbunden mit einer inneren Abhärtung. Und immer wenn’s gut zu werden schien, kam etwas anderes. Ich bin jetzt nicht gebrochen, ganz im Gegenteil. Aber ich habe mit dem Igor Levit vor 2014 herzlich wenig zu tun.
Daraus folgt die klassische küchenpsychologische Frage: Hilft die Musik in solchen Phasen?
Nein. Ich kann ja nicht mit ihr reden. Man bleibt im Spielen immer bei sich. Das Einzige, was hilft, sind andere Menschen, ist die echte Kommunikation. Ich hänge auch kein Foto von Beethoven an die Wand und sage: „Er ist mein Lehrer.“ Ich kann ja nicht mit ihm diskutieren. Ein Konzert spielen, in die Garderobe, umziehen, ins Hotel oder nach Hause – so war ich nie. Ich brauche andere Menschen. Ich bin einfach ein Kind meiner Zeit. Und diese Zeit sauge ich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf. Apropos: Wann wird der Münchner Konzertsaal eröffnet?
Vielleicht 2025, 2026…
Okay. Mir kann doch keiner erzählen, dass er sich gerade ernsthaft über 2025 Gedanken macht und darüber, was gesellschaftspolitisch passiert sein wird. Ich sage immer: „Macht euch eure Jetztzeit zu eigen und zieht daraus die Konsequenzen, sonst werdet ihr überrannt.“ Es hat keinen Sinn, wenn ich im Falle dieses Saales alles wie gehabt fortsetze und dies nur unter besseren akustischen Bedingungen. Was ist mit dem Inhalt?
Aber die alten Strukturen werden doch von den Künstlern gern bedient. Sie selbst spielen wieder einmal Beethovens fünftes Klavierkonzert.
So ist es. Punkt geschenkt. Aber ich kann meine Bekanntheit dafür einsetzen, um auf Gesellschaftspolitisches hinzuweisen. Oder auf Werke abseits des Kanons, den wir Europazentrierten für den einzig wahren halten. Das ist im Übrigen eine lächerliche Sache – wir halten uns für international und führen ausschließlich Musik weißer toter Männer auf. Ich kann versuchen, etwas anzustoßen. Das heißt aber nicht, dass ich aufhören muss, Beethoven zu spielen. Das ist genau dasselbe, wenn man sagt: „Du kannst dich nicht für Arme einsetzen, weil du eine Rolex trägst.“ Natürlich geht das!
Interessant ist doch, dass – so melden jedenfalls Konzert- und Opernhäuser – diese Musik weißer toter Männer gerade immer mehr Zulauf erhält.
Fantastisch. Super. Ich stelle diese Strukturen mit ihrer Programmatik gar nicht infrage. Alle müssen sich aber bewusst werden, dass neue Menschen mit neuen Geschichten kommen, und auch die wollen sich in der Kulturszene wiedererkennen. Wir müssen aufhören, auf Zukunftsfragen Antworten aus früheren Jahrhunderten zu finden. Und abwarten: Ich werde noch vieles spielen, das nicht von Beethoven ist.
Weil Sie als Künstler eine Bekanntheitsschwelle überschritten haben, die Carte blanche erlaubt?
Das ist vielleicht das Wichtigste, was ich mit Karriere verbinde: dass ich mit Partnern beschenkt bin, die mir vertrauen.
Und man muss keine Angst davor haben, dass Beiträge in den Sozialen Netzwerken karriereschädigend sein könnten.
So denke ich nie. Wenn es irgendeinen Solisten gibt, egal in welchem Genre, der vielversprechend bis herausragend ist, wird sich kein Veranstalter aufgrund von Twitter-Einträgen vom Engagement abhalten lassen.
Tragen Künstler besondere Verantwortung für Gesellschaftspolitisches, weil sie als hehrer, unbefleckter im Vergleich zu Politikern begriffen werden?
Nicht mehr und nicht weniger als jeder andere Bürger.
Wo liegen die Grenzen? Bei der aktiven Teilhabe an Parteien?
Was für mich nicht ginge: dass eine Partei mich vereinnahmt. Wenn also jemand sagt: Das ist der Partei-X-Pianist. Aber als Künstler zu meinen, man stehe über allen gesellschaftlichen Dingen, ist ein Luxus, den wir uns in der jetzigen Situation nicht mehr leisten können. Es geht um aktives Engagement. „Alle Menschen werden Brüder“ ist keine Antwort. Liberalität vorleben in jeder Situation, das könnte eine sein.
Und wenn alle Welt inzwischen von Igor Levit denkt: Na, was sagt er heute wieder? Es soll ein Buch mit den besten Trump-Tweets geben.
Das war ein Foul, das ich aber verzeihe. Meine Äußerungen auf Twitter oder, ganz selten, im Konzert sind nie taktischer Natur. Ich bilde mir ein, dass ich da sehr glaubwürdig bin.
Gibt es auch eine Igor-Levit-Fastenzeit? 40 Tage ohne Netzwerke?
Es gab mal 14 Tage ohne Iphone. Außerdem (fischt ein altes Nokia-Handy aus seiner Jacke) habe ich auch das! Ein Telefon, mit dem man telefonieren kann. Wahnsinn.
Das Gespräch führte Markus Thiel.