Wer an Jazz denkt, dem fallen wohl kaum Violine und Streichquartett ein. Wer aber Gregor Hübner kennt, der weiß, dass auch Geige, Bratsche und Cello längst in freien Improvisations-Gewässern angekommen sind, in dem er sich als Solist, aber auch als Mitglied des New Yorker Sirius Quartets zuhause fühlt. Hübner, der an der Münchner Musikhochschule Jazz-Komposition lehrt, gestaltet am kommenden Sonntag zusammen mit Kollegen und Studenten eine Matinee in der Allerheiligenhofkirche.
Der gebürtige Schwabe ist ein Pendler zwischen den Welten, geografisch gesehen – er lebt mit Familie in Harlem und lehrt in München – wie auch musikalisch. Der in Wien und Stuttgart klassisch ausgebildete Geiger sprang schon früh aus der Klassik-Schublade, schnupperte auf dem Klavier in Jazzgefilden und absolvierte nach dem Geigen-Abschluss ein Studium zum Jazz-Pianisten an der Manhattan School of Music in New York.
Ludmilla Uhlela war die Kompositionslehrerin. Als er sich bei Richie Beirach den letzten pianistischen Schliff holen sollte, erschien er zur dritten Unterrichtsstunde mit der Geige. „Ich kam von einer Probe. Richie sagte: ,Komm, lass uns spielen.‘ Ich zögerte, denn ich sah mich nicht als Jazz-Geiger, aber dann nahmen wir uns Bartók vor und improvisierten eine Stunde lang.“ Als der renommierte Jazzer den Violinisten für seine nächste CD-Aufnahme engagierte, war der Jazz-Geiger Gregor Hübner geboren. „Das hat meine Welt verändert.“ Und den Schwaben zum New Yorker gemacht.
Mit Improvisation war Hübner in seinem durch und durch musikalischen Elternhaus – der Vater war Schulmusiker, die Mutter Organistin und Pianistin – groß geworden. „Mein Großvater war Sudetendeutscher und hat in Tschechien lange Jahre in einem Orchester gespielt, das auf Roma-Musik spezialisiert war. Dort liegen also die Wurzeln für unser Musizieren.“ Und daher rührt wohl auch die Offenheit, mit der im Hause Hübner über den Klassik-Tellerrand geschaut und musiziert wurde – mit und ohne Noten. Natürlich beteiligten sich auch Bruder und Schwester am gemeinsamen Musikmachen. Als die Jungen in die Pubertät kamen, gründeten sie, nach ersten Jazz-Kursen in Burghausen, ihre eigene Band. Die Lust am Improvisieren manifestierte sich schließlich in eigenen Kompositionen.
Auch als Komponist lässt sich Hübner nicht so leicht einordnen. Wenn er gefragt wird, ob er Neue Musik schreibe, lacht er nur: „Das ist ein typisch deutscher Begriff. In Amerika nennen wir sie ‚contemporary classical‘. In den Siebziger- und Achtzigerjahren gab es vor allem in Boston und New York den sogenannten ‚third stream‘, einen Versuch, Klassik mit Jazz zu verbinden, was damals von Jazzern ausging. Ich würde mich heute im ‚fourth stream‘ einordnen.“
Diese Freude, die Genres – zu Klassik und Jazz tritt auch noch die lateinamerikanische Musik – zu verknüpfen, prädestinierte Gregor Hübner schließlich auch für seine Professur an der Münchner Hochschule, an der er drei Master-Studenten (Komposition) betreut und sich mit einigen Streichern der Improvisation widmet. Hübners erstes Werk, eine Concertante für Violine, Viola und Orchester wurde 1998 vom Kammerorchester des Metropolitan Museum in New York, in dem er selbst als Geiger spielte, uraufgeführt. Weitere, große Auftragskompositionen schrieb er für die Internationale Stuttgarter Bachakademie und kürzlich erst ein Violinkonzert für die Big Band des WDR. Er selbst übernahm den Solopart (CD erscheint im April).
Das Sirius Quartet, dem Hübner seit vielen Jahren angehört, hat sich mit ihm zu einem Ensemble gewandelt, das nicht nur gern improvisiert, sondern bevorzugt Eigenkompositionen spielt. Im Mai werden die vier New Yorker Musiker wieder in München (Reaktorhalle) gastieren. Dass Hübner sich als Musiker mit gesellschaftlichen und politischen Problemen auseinandersetzt, beweisen sein Streichquartett „New World Nov.9.2016“, für das er von den New Yorker Philharmonikern ausgezeichnet wurde, und seine intensive Beschäftigung mit lateinamerikanischen Klängen.
„Diese Musik hat mich immer interessiert und vor allem rhythmisch fasziniert. Deshalb habe ich begonnen, sie auf meine Art zu erweitern.“ Zunächst mit zwei CDs „El Violon Latino Vol. 1 und 2“, die Kuba, Brasilien und Argentinien gewidmet sind. In seiner dritten CD gibt Kuba den Ton an. „Los soñadores“ heißt der Titelsong, dessen Text Hübner zusammen mit der Sängerin Yumarya schrieb und dann vertonte. Das Lied erzählt vom Schicksal jener „Träumer“, die als Kinder illegaler Einwanderer in den USA aufwuchsen, die Schule besuchten und von denen viele mittlerweile studieren. Papiere besitzen sie nicht. Unter Trumps Regierung ist ihre Zukunft ungewisser und bedrohter denn je. Als der kolumbianische Filmemacher Richie Briñez den Song hörte, machte er spontan ein Video dazu. „Los soñadores“ ist mehr als ein Musikstück, es ist ein Bekenntnis.
Informationen
Link zum Video: https://youtu.be/-Y6kYzVl-wg;
Odeon-Konzert: Sonntag, 11 Uhr, Allerheiligenhofkirche; Karten: 089/ 545 44 55.
Bartók half
bei der Geburt des Jazzers