Kampf im Cockpit

von Redaktion

Patrick Vollrath durfte sein Langfilmdebüt „7500“ in Locarno zeigen

VON MARCO SCHMIDT

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein junger deutscher Filmregisseur, haben gerade ihr Studium abgeschlossen und wollen ihren ersten abendfüllenden Spielfilm drehen. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, dass dieser Film ausschließlich in einem Flugzeugcockpit spielen soll. Renommierte Produzenten finden ihre Idee so gut, dass sie den Film finanzieren. Hollywoodstar Joseph Gordon-Levitt („Snowden“) findet ihr Drehbuch so gut, dass er die Hauptrolle übernimmt. Und Lili Hinstin, Direktorin des Festivals von Locarno, findet ihren Film so gut, dass sie ihn einlädt, auf der pittoresken Piazza Grande vor 6000 Zuschauern seine Weltpremiere zu feiern.

Der junge Mann, für den dieser Traum wahr wurde, heißt Patrick Vollrath, hat zunächst in München eine Cutter-Ausbildung absolviert, dann an der Wiener Filmakademie bei Michael Haneke Regie studiert und anschließend   für   sein   brillantes 30-minütiges Kindesentführungsdrama „Alles wird gut“ mehr als 30 internationale Preise abgeräumt, darunter sogar den Studenten-Oscar. Auch in seinem Langfilm-Debüt „7500“ geht es wieder um Kidnapping: „7500“ ist der internationale Notfall-Code für eine Flugzeugentführung. Im Mittelpunkt steht ein Co-Pilot (Gordon-Levitt), der in eine fiese Zwickmühle gerät, als seine Passagiermaschine auf dem Flug nach Paris von islamistischen Terroristen gekapert wird und seine Freundin (gespielt von Aylin Tezel) unter den Geiseln ist, die getötet werden sollen.

Vollrath hat daraus keinen simplen Nullachtfünfzehn-Thriller gemacht, sondern ein komplexes Anti-Rache-Drama. „Ich wollte zeigen, wie man den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen kann, der unsere Gegenwart auf der ganzen Welt beherrscht“, meinte der Regisseur bei der Pressekonferenz in Locarno. Sein Hauptdarsteller Joseph Gordon-Levitt  fügte  an, er schätze es sehr, dass „7500“ die übliche Schwarz-Weiß-Malerei à la Hollywood vermeide: „Hier gibt es keinen strahlenden Helden, der am Schluss den Bösewicht besiegt. Die Wirklichkeit ist nun mal kompliziert – anders, als es uns populistische Rattenfänger weismachen wollen. Und unser Film ist nicht bloß ein Popcorn-Spaß, sondern eine vielschichtige Herausforderung fürs Publikum.“

Gedreht wurde in der schweißtreibenden Enge eines echten Airbus-Cockpits. Als Pilot an Gordon-Levitts Seite agierte Carlo Kitzlinger, der vor seiner Schauspielerlaufbahn neun Jahre lang als Flugkapitän gearbeitet hatte und am Set akribisch auf Authentizität achtete. Aylin Tezel berichtete in Locarno, dass die Darsteller bei den Dreharbeiten nach den knallharten Kampfszenen jeden Tag schwarze, grüne oder blaue Flecken am Körper davontrugen. Gordon-Levitt zeigte sich begeistert von Patrick Vollraths hyperrealistischem Inszenierungsansatz: „Patrick ließ uns Szenen vor der Kamera 20 oder gar 30 Minuten lang durchspielen, sodass wir wirklich vollkommen in der jeweiligen Situation aufgehen konnten. Etwas so Radikales hatte ich zuvor in 30 Berufsjahren noch nie gemacht. Und das Resultat finde ich grandios.“ Tatsächlich gelingt es Vollrath verblüffend souverän inszeniertem Erstlingsfilm, über weite Strecken eine nervenaufreibende Spannung zu halten – zumindest, wenn man ihn in einem dunklen Kinosaal sieht. Für eine Freilicht-Aufführung scheint er indes weniger geeignet: Bei der Uraufführung unterm Schweizer Sternenhimmel auf Europas größter Leinwand wollte sich die klaustrophobische Atmosphäre dieses klug konstruierten Kammerspiels nicht recht einstellen. Die verhaltene Reaktion der Zuschauer lässt vermuten, dass „7500“ in Locarno wohl nicht den Publikumspreis gewinnen wird. Im Bordprogramm einer Fluggesellschaft werden wir den Film bestimmt nie zu sehen bekommen. Aber im Januar 2020 soll er regulär in den deutschen Kinos anlaufen.

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