Er hat mit „Isarflimmern“ so etwas wie die inoffizielle Hymne Bayerns geschrieben sowie Raum, Zeit und alle Ketten der Genres und Identitäten mit seinem Leben und Lebenswerk gesprengt: Willy Michl, bajuwarischer Bluesman, Rolling Stone im Isarflussbett, Heimat- und Weltdichter, Seelen-Indianer, Musik-Medizinmann, wird am kommenden Donnerstag 70 Jahre alt. Heute erfreut sich der Barde, dessen Karriere im Schwabing der Siebzigerjahre „auf dem Boulevard“ begann, stadt-, bundes- und vielleicht sogar weltweiter Bekanntheit. Wir haben mit dem Isar-Schamanen vorab gesprochen. Nicht wundern: Indianer müssen geduzt werden.
70 Jahre – zu früh für ein Fazit. Aber gibt es doch ein kleines Zwischenresümee Deines langen, bewegten Musikerlebens?
Schön war’s und anstrengend. Über fünf Jahrzehnte auf der Bühne. So begegne ich dem geliebten Yediritter-Publikum, meinen treuen Fans. Seit 1978 bin ich absoluter Hardcore-Indie, ohne Musikindustrie. Ich bringe meine Platten selbst heraus, verbreite sie über meine Webseite und manage meine Konzerte selbst. Ich wurde sogar schon mal mit Montserrat Caballé verglichen und als Gitarrengott bezeichnet…
Aber es gab ja auch Höhen und Tiefen.
Mitte der Siebzigerjahre war ich Toprenner der Münchner Szene und habe mehrere Kult-Läden mit aus der Taufe gehoben, das Domizil, die Manege, das Wirtshaus im Schlachthof. Dann lebte ich in den Bergen, im Höllental und auf dem Schneeferner. Von 1994 bis 2002 hab’ ich nach einem krassen Verriss acht Jahre pausiert und bin seit 2003 wieder bis heute erfolgreich live unterwegs. Was will man mehr!
Das Alter – eine unheimliche Sache?
Es hilft ja nix, man kann der Zeit nicht davonlaufen. Unheimlich sind mir eher Extremisten und Religionsfanatiker. Ein Indianer respektiert den Tod, will wissen, woher er selbst kommt und wohin er noch geht. Indianer, denen ich begegnete, sagten: Ein Mann ist, was er träumt zu sein. Sie meinten, ich hätte gut geträumt.
Alter ist also eine Chance auf große Weisheit?
Weisheit ist, wie Sokrates sagt: „Ich weiß, dass ich nichts weiß!“ Man hat zum Leben kein Verhältnis, sondern man liebt es, man ehrt es, eben gerade auch das Leben der anderen. Und zwar aller Lebewesen. Mit zunehmendem Alter wird die Gewissheit, dass Liebe die stärkste Medizin des Daseins ist, immer klarer. Wer liebt und geliebt wird, kann glücklich leben, ist dann auch bescheiden und treu. All das gehört zusammen. Die Geister lieben standhafte, tolerante Menschen und helfen ihnen, dem Grauen und der Krankheit zu begegnen.
Wie hast du die Corona-Zeit erlebt und verbracht?
Als es in Starnberg losging, beschloss ich, mich einzuigeln, hier im Isarindianer-Wigwam mit meiner Frau Cora. Ich träumte von der Isar, am Oberlauf. Der Mensch ist ein soziales Wesen, er liebt Gesellschaft. Cora und ich haben eine wahrhaft große Liebe, und so erlebten wir schöne Tage und Nächte. Ich schrieb sehr viel, hatte Kontakt über soziale Netzwerke und Telefonate. Wir verfolgten die Politik. Dabei schneiden Angela Merkel und Markus Söder sehr gut ab. Corona ist das Schlimmste, das ich erlebt habe. Ein unsichtbares Grauen, ein Damoklesschwert, das auch die Seele krank macht. Es ist erschreckend, Menschen zu Tausenden sterben zu sehen, ein Horror. Man muss stark bleiben, um nicht schlapp zu machen. Aber Starke sollen den Schwachen helfen, das ist barmherzig.
Wie hart ist es für einen Live-Bluesman, nicht auftreten zu können?
Es ist sehr, sehr schwer. Man vermisst die Menschen, ist isoliert, fürchtet, das geht nie mehr zu Ende und dass es keine Freude mehr geben wird. Wie ausgeliefert und hilflos man doch ist. Und bekommt dennoch Trost von Menschen, die man persönlich noch nie gesehen hat, via Facebook oder Twitter. Ich hatte anfänglich nicht gedacht, dass es mich emotional so tief treffen könnte. An Ostern der Papst auf dem leeren Petersplatz, das erste Geisterspiel und die leeren Straßen der Weltstädte. Es zerriss mein Herz. Finanziell konnten wir bisher überleben, der Freistaat Bayern hat beispielhaft geholfen. Wir leben bescheiden, wir brauchen nicht viel.
Du beschäftigst dich ja auch mit der Unterdrückung indigener Völker.
Ich schreibe an einem Buch über Indianer. Dieses Thema kann man nicht mit wenigen Worten erklären. Ich habe mich mit meinem Outfit und meiner Arbeit seit Jahrzehnten mit indigenen Völkern des ganzen Erdkreises solidarisiert. Wir müssen daran arbeiten, kämpfen und beten, dass es besser wird. Im Film „Schindlers Liste“ hat es geheißen: Wer ein einziges Leben rettet, rettet die Welt.
Gibt es neue musikalische Projekte?
Meine CD-Produktion steht derzeit still, aber bald wird’s wohl weiter gehen, wenn ich gesund bleibe. Ich denke, man muss Videos machen in der Zukunft, das wird ein Lernprozess werden. Live bin ich am 9. Juli in Eulenspiegels Flying Circus im Innenhof des Deutsches Museums zu hören.
Das Gespräch führte Oliver Menner.
Konzert
am 9. Juli im Innenhof des Deutschen Museums;
Karten unter www.muenchenticket.de