Redaktionskonferenzen mit Alfred Biolek liefen anders ab, als man sich solche Besprechungen gemeinhin vorstellt: Statt in nüchternen Büros versammelte der Moderator und Fernsehmacher sein Team stets bei sich daheim in der Küche. Bei frisch gekochten Spaghetti wurde die aktuelle Sendung detailliert geplant – und dabei vorzüglich geschlemmt.
Das war typisch für Bio: Ein Gemisch aus Genuss und Disziplin habe sein Leben immer begleitet, sagte er einmal über sich selbst. Diese Mischung machte ihn auch zu dem, der er war: Ein Mensch, der nicht nur gern lebte und mit Freunden das Feiern genoss, sondern der knapp 40 Jahre lang mit seiner Disziplin und seinen Ideen das deutsche Fernsehen prägte wie kaum ein anderer. Durch seinen Tod hat die Medienwelt einen ihrer erfolgreichsten Produzenten, Entertainer und Moderatoren verloren. Alfred Biolek ist am Freitag in Köln im Alter von 87 Jahren gestorben.
Der Sohn eines Juristen, der 1934 im tschechischen Freistadt geboren und gemeinsam mit seiner Familie nach dem Zweiten Weltkrieg in den Westen vertrieben wurde, hätte eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten sollen. Doch statt dessen Kanzlei im schwäbischen Waiblingen zu übernehmen, wurde Biolek 1963 nach seinem Jurastudium Assessor beim neu gegründeten Fernsehsender ZDF und rückte damit seinem großen Wunsch, das Publikum zu unterhalten, einen gewaltigen Schritt näher.
Auch die Verantwortlichen des ZDF erkannten die Entertainer-Qualitäten ihres Justitiars erstaunlich schnell: Schon bald moderierte Biolek, der bereits zu Studentenzeiten als Kabarettist auf der Bühne stand, Sendungen wie „Tipps für Autofahrer“ oder „Urlaub nach Maß“, während er sich parallel dazu auf die Suche nach neuen Künstlern für die Showbranche machte: Er holte den Sänger Herman van Veen und die britische Kultgruppe Monty Python nach Deutschland und produzierte Rudi Carrells Erfolgsshow „Am laufenden Band“. Im Jahr 1976 moderierte er dann zusammen mit Dieter Thoma den „Kölner Treff“.
Der große Durchbruch jedoch gelang dem kleinen Mann mit der Nickelbrille als Markenzeichen, den damals legendäre Koteletten zierten, 1978 mit „Bio’s Bahnhof“: Die Kombination von U- und E-Musik, live gesendet aus einem alten Bahngebäude, warf das biedere Sendekonzept des deutschen Fernsehens über den Haufen. So locker Bio auf der Bühne wirkte, so streng war er mit sich selbst: Jeder einzelne „Bahnhof“ sei für ihn eine Herausforderung wie ein Staatsexamen gewesen, erinnerte er sich später einmal schmunzelnd. Seine Ansprüche an sich und sein Umfeld waren stets extrem hoch, Professionalität stand im Zentrum und bereits nach vier Jahren beendete Bio die Show wieder – bevor die Anerkennung von Publikum und Gästen nachlassen konnte.
Nach „Bei Bio“ und der „Show-Bühne“ folgte mit der Spielshow „Mensch Meier“ 1985 der nächste große Fernseherfolg, bevor sich Biolek 1991 mit der Talksendung „Boulevard Bio“ einen Traum erfüllte: „Ich wusste: Irgendwann bin ich mal so weit, dann brauche ich keine Big Band mehr und keine Treppe. Dann gilt einfach: eine Wand und zwei Stühle davor, das genügt.“
In entspannter Atmosphäre plauderten meist prominente Gäste mit Bio über ihr Leben, stets geleitet von einem übergeordneten Thema und den unaufdringlichen, nie voyeuristisch gefärbten Fragen des Moderators: „Ich führe keine Interviews, ich führe Gespräche“, beschrieb er selbst sein Erfolgsgeheimnis, das sogar Menschen wie den Dalai Lama in seine Show lockte.
Mehr als 2000 Gäste saßen in den knapp zwölf Jahren, die er die Sendung moderierte, neben Biolek und ließen „Boulevard Bio“ entgegen allen Prognosen zum Vorreiter der großen Talkshows und zum Marktführer des späten Dienstagabends werden. Zu dieser Uhrzeit saß der Moderator, der die Sendung ein paar Stunden zuvor aufzeichnete, bereits zusammen mit seinen Gästen in dem Kölner Restaurant „Wartesaal“, dessen Pächter er selber war – um zu feiern. Denn nach der Disziplin der Arbeit folgte der Genuss – das Motto zog sich wie ein roter Faden durch sein Leben.
Kein Wunder also, dass sein letzter großer Erfolg wieder genau diesen Genuss in den Mittelpunkt stellte: Mit „alfredissimo!“ verwirklichte Biolek 1994 – lange vor Tim Mälzer & Co. – einen weiteren Traum: Kochen und Reden gleichzeitig vor laufender Kamera. Auch hier bestach er durch Authentizität: Bio war tatsächlich ein leidenschaftlicher Koch, praktizierte dies auf einem Herd, der seiner privaten Küche nachgebaut war, und unterhielt sich mit seinen Gästen über das, was er auch persönlich interessant fand.
Privat hat Biolek lange gebraucht, um diese Authentizität ebenfalls offen umzusetzen: Seine Homosexualität hatte er der eigenen Mutter bis zu ihrem Tod verschwiegen und auch das öffentliche Outing, das der Filmemacher Rosa von Praunheim 1991 ohne Absprache mit ihm vollzog, verunsicherte ihn anfangs sehr. Dabei waren ihm die persönlichen Bindungen zu Freunden und Familie immer äußerst wichtig: Seine erste große Liebe, den 30 Jahre jüngeren US-Amerikaner Keith, adoptierte Biolek schon früh als Sohn und integrierte ihn und später auch Scott, einen weiteren engen Freund, den er ebenfalls adoptierte, fest in seine „Wahlfamilie“.
Im Jahr 2006 beendete Alfred Biolek, mittlerweile „nebenher“ erfolgreicher Kochbuchautor, Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln und UN-Botschafter, mit „alfredissimo!“ seine letzte große Sendung. „Man soll aufhören, wenn der Höhepunkt erreicht ist“, betonte Bio offiziell. Wie erschreckend schnell es danach für ihn bergab gehen sollte, ahnte er damals nicht: 2010 erlitt er bei einem Sturz von einer Treppe so starke Kopfverletzungen, dass er sich davon nie wieder völlig erholen sollte. Seine Produktionsgesellschaft ProGmbH meldete im selben Jahr Insolvenz an, sein langjähriger Lebenspartner trennte sich, sein Ferienhaus in Griechenland wurde verkauft.
Trotz dieser Rückschläge und der gesundheitlichen Einschränkungen konnte und wollte sich der Entertainer lange nicht ganz von Bühne und Publikum verabschieden: Lesungen und kleine Theaterauftritte bestimmten seinen Alltag. Auch wenn Freunde wie der Sänger Tim Fischer in einem ARD-Beitrag zu seinem 80. Geburtstag betonten, dass sich Bio damit oft zu viel zumute, zog er dieses Programm diszipliniert durch, so lange es ging. Vielleicht, weil nur Disziplin ihm den Genuss des Applauses sicherte. Und an der Mischung aus Disziplin und Genuss hielt er fest – bis in den Tod.
* Unsere Autorin, arbeitete 1995 in der Redaktion von „Boulevard Bio“.
Der Durchbruch kam 1978 mit „Bio’s Bahnhof“
„alfredissimo!“ war seine letzte große Sendung