Den Klerus im Blick

von Redaktion

Dirk Schümer gelingt mit „Die schwarze Rose“ ein packender Mittelalter-Thriller

VON SIMONE DATTENBERGER

Ende November 1327 brennt eine Cluniazenserabtei in Italien ab. Im Mai 1328 ist der berühmte deutsche Dominikanerprediger Eckhart von Hochheim (um 1260-1328) im provenzalischen Avignon von den Scheiterhaufen der Inquisition bedroht. Vor 40 Jahren erschien Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“, in dem der Semiotikprofessor (1932-2016) nicht nur vom Lesen der Zeichen per Krimi erzählte, sondern auch von innerkirchlichen Theologie-Konflikten und dem Kampf zwischen Kaiser und Papst. Das Buch, das seinerseits Bücher und Bibliotheken feiert, wurde zu einem Weltbestseller und mit Sean Connery in der Rolle des Franziskaners William von Baskerville verfilmt. Kein Wunder, dass der Wiener Zsolnay Verlag, mit dem „Namen der Rose“ wirbt, und zwar für eine Art Fortsetzung: „Die schwarze Rose“, die gerade herausgekommen ist.

Autor Dirk Schümer, Jahrgang 1962, erweist Eco seine Reverenz, indem ein Meister mit einem Novizen an seiner Seite auftritt (Eckhart und Wittekind) und sogar William selbst; indem weder an Action noch an detektivischem Herumgeschnüffel gespart wird – und indem das korrupte und menschenverachtende Kirchensystem ausgeleuchtet wird. Schümer spitzt die Kritik noch zu, weil er seinen Roman im Herzen der Finsternis spielen lässt: in Avignon, als die Stadt Sitz des Papstes ist.

Der Jurist Joan aus dem Quercy (Johannes XXII.) hat die Kirchenstruktur zu einem perfekt durchorganisierten Pfründe- und Steuersystem „optimiert“, um sich und seine Familie nachhaltig zu bereichern. Dazu ist es unerlässlich, die Macht der Kirche auszubauen und zu festigen – egal, wie viele Leben das kostet.

Auf diese blutige Geld-Gold-Maschine prallen Eckharts Lehre von der individuellen Beziehung des Menschen zu Gott, was die Freiheit des Einzelnen von der Priesterschaft bedeutet, und die Armutsvorstellung der Franziskaner. Beide Richtungen sollen durch die Inquisition ausgelöscht werden wie andere sogenannte Ketzer auch. In dieser ohnehin bedrohlichen Situation finden der Meister und Wittekind einen offenbar gefolterten Mann, der dann auf der klösterlichen Krankenstation ermordet wird. Nicht das einzige Verbrechen, das den jungen Novizen umtreiben wird. Seine Nachforschungen führen ihn immer tiefer in das Spinnennetz Avignon, in dessen Mitte der alte Papst lauert. Der Deutsche lernt die „Carriera“ (Ghetto) ebenso kennen wie die Spelunken, den Slum neben den Palästen der Kardinäle wie das gepflegte Badehaus, das Italienerviertel mit den Banken wie das Gärtchen von Ramon, dem einheimischen Laienbruder, seinem Freund.

Durch diese Räume und ihre Bewohner erzählt Schümer anschaulich und üppig von einem Mittelalter, das durchaus unsere Welt von heute spiegelt. Naturgemäß reagieren wir jetzt besonders sensibel auf die Kirchenkritik, aber auch die Schilderungen eines Raubtierkapitalismus haben es aktuell in sich, genauso die systematische Vernichtung von Menschenmassen. Hierbei spürt man die Leidenschaft des Schriftstellers, der zwar sein Buch „allen Opfern der heiligen Inquisition“ gewidmet, zugleich jedoch eine allzu oft genutzte Polit-Strategie analysiert hat. Da seine Lust am Erzählen inklusive Natur- und Liebesgenuss groß ist, liest sich der Mittelalter-Thriller leicht – obwohl man trauert, dass das darin geschilderte Böse ganz und gar nicht erfunden ist.

Dirk Schümer:

„Die schwarze Rose“. Paul Zsolnay Verlag, Wien, 604 Seiten; 28 Euro.

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