Schau, schau, die Liebe

von Redaktion

PREMIERENKRITIK „Tristan und Isolde“ zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele

Nur noch ein paar Takte zum Aktschluss eins, da spielen die Sterne verrückt. Immer schneller drehen sie sich auf dieser Bodenscheibe, ein rasender Video-Strudel bis zum weißen Rauschen. Darauf das hohe Paar, liegend. Und kurzzeitig bangt man, ob Tristan und Isolde nicht mit lautem Plopp in diesem Gestirns-Wasser-Loch verschwinden, auf dass sie in einem anderen, besseren Leben wieder ausgespuckt werden. Viele solche Gedanken macht man sich, es ist ja dafür Zeit und Raum an diesem Eröffnungsabend der Bayreuther Festspiele.

Regisseur Roland Schwab, erst im Dezember für diese Kurzfrist-Produktion engagiert, hat schon vorher gesagt: Das ultimative Liebesdrama der Operngeschichte könne man eigentlich nicht inszenieren, nur CD oder Partiturlesen, dies sei doch der optimale Genuss. Entsprechend ist der Münchner in die Knie gegangen. Vor „Tristan und Isolde“, vor dem heil’gen Ort und auch vor den Visionen seines Bühnenbildners Piero Vinciguerra und des Video-Künstlers Luis August Krawen.

70 Jahre nach der Bayreuther Nachkriegseröffnung also gibt es wieder à la Wieland Wagner eine Bühnenscheibe. Als sei dieses Rund herausgebrochen aus der Decke, die nun den Blick freigibt: auf einen gestirnten Himmel, auf Gestalten, die dort bedeutungsschwanger wandeln oder sich am Ende des zweiten Aufzugs stückgemäß bekämpfen, auch auf mächtiges Pflanzenrankwerk, das in den futuristischen Raum herabhängt. Der bewegt sich mit seinen Liegestühlen zwischen Wellnessbereich der Raumpatrouille (Akt eins) und von Kerzen umstellte Grablagerstätte des Helden (Akt drei), der nochmals zum Fieberwahnleben erwacht und alle umstoßen darf.

Wer nur Schauwerte braucht und sich an Ästhetik laben will, der ist perfekt versorgt. Wer keine Belästigung will, auch: Schon zur ersten Pause kriegt sich das Publikum mit Trampeln und Jubel gar nicht mehr ein. „Schön, dass wir alle wieder hier zusammensitzen“ – vor allem das schwingt dabei mit. Wer allerdings mehr will als Schönes am Rande des Kitsches oder Arrangements-Zauber, der wird fünf sehr lange Stunden ausgehungert.

Immerhin: Schwab lässt sich das Drama behutsam entwickeln. Man versteht in jeder Sekunde, worum es geht. Und doch sind da nur Fremde auf der Bühne. Personen, deren Woher und Wohin, deren innere Verfasstheit und nach außen drängende Motivation kaum sichtbar sind. Es muss nicht immer die Psycho-Couch sein. Aber „Tristan und Isolde“ wird in dieser Version zum Figurenschachspiel, zur reinen Draufsicht, zum Arrangement, das die Handelnden oft nur als Ornament begreift.

Bekanntlich war die Produktion gar nicht vorgesehen in diesem Bayreuth-Sommer. Festspiel-Leiterin Katharina Wagner wollte den weitgehend chorlosen „Tristan“ als Ersatzstück, falls die groß besetzten Chor-Opern „Lohengrin“ und „Tannhäuser“ positiven Tests zum Opfer fallen. Zweimal wird er offiziell gezeigt, wenn Corona will öfter. Nur nächstes Jahr gibt es eine Reprise. Mit mangelnder Probenzeit lässt sich die Regie trotzdem nicht entschuldigen. Darüber müsste sich schon eher Markus Poschner beschweren, der erst seit einer guten Woche dabei ist.

Wer von diesem Dirigenten eine Sicherheitsnummer erwartete, sieht sich verblüfft. Was aufs Konto von Poschner geht, was auf das des hochmotivierten Festspielorchesters, das wird sich nie klären lassen. Schon ab den ersten Takten spricht aus der Interpretation ein „Achtung, hinhören“. Mit langen Generalpausen im Vorspiel, überhaupt mit einem (manchmal zu tempoarmen) Aufdröseln der komplexen Partitur. Und dann nimmt alles Anlauf, rast wie im Finale des ersten Akts ungebremst über die Ziellinie. Die Pendelausschläge dieser Deutung sind hoch, Übergänge manchmal riskant und daher spannend. Musikalisch ist der Abend sehr partitur- und wirkungsbewusst, obgleich sich manches nicht immer mit dem Gesangspersonal verzahnt. Im Liebestod eilt Catherine Foster ungerührt dem Dirigenten davon. An solchen Stellen ist zu hören, wie viel noch einrasten muss.

Die Isolde singt sie mit enormem hochdramatischen Aplomb. Das Mädchenhafte in der Stimme ist fast weg, die Artikulation leider auch. Eine nimmermüde Sopranistin, die über ein großes Potenzial verfügt. Hier wird es nur teilweise abgerufen. Stephen Gould beginnt als Tristan mit angezogener Handbremse, steigert sich von Akt zu Akt. Ein Wagner-Recke, den schon lange nichts mehr schreckt. Der Mann klingt ausgeruht, erotisches Schillern muss man sich bei anderen Tenören suchen.

Ekaterina Gubanova (Brangäne) ist in ihrer großstimmigen Textarmut eine Schwester Isoldes. Die Regie blendet diese Figur so gut wie weg, reduziert sie zur Stichwortgeberin. Am flexiblen Granitbariton von Markus Eiche (Kurwenal), an seiner Entwicklung der Klangverläufe aus dem Wort mag man sich dagegen nicht satthören. Ebenso an Georg Zeppenfeld, dem 1800 Gala-Gäste an den Lippen hängen, als hörten sie König Markes Monolog zum ersten Mal.

Ansonsten leistet sich das Publikum die schlechteste Bayreuth-Premiere seit Langem. Im Lärm der Zuspätkommer gehen die ersten Takte unter, lange leuchten Handy-Lichter durch die Reihen, alle paar Minuten plumpst etwas auf den Holzboden. Aus irgendeinem Satire-Himmel muss Loriot die Fäden geführt haben.

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