Sie liebten und sie hassten sich

von Redaktion

INTERVIEW Marie Theres Relin und Franz Xaver Kroetz über ihr gemeinsames Buch – und ihr ewiges Ringen

Eiscafé Portofino, Pasing Mitte. Das italienische Fischerdorf ziert die Wände in allen Farben; es gibt Eis, Pasta, Pizza und Toast Hawaii. Eine herrlich kitschige Kulisse für ein Interview mit einem Unbeugsamen und einer Strahlenden – dem Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur Franz Xaver Kroetz (77) und seiner „Ex“, der Schauspielerin und Autorin Marie Theres Relin (57), Tochter der Leinwandlegenden Maria Schell und Veit Relin. Das Portofino ist Kroetz‘ Heimatlokal. Als Sechsjähriger saß er da schon mit seiner Mutter beim Eis. Von hier aus hat Kroetz als Dramatiker die Welt erobert – mit 68 Bühnenstücken. Und hierhin hat er Marie Theres geholt, 13 Tage, nachdem sie sich vor 35 Jahren im Residenztheater kennengelernt hatten. „In diesem Moment war Marie Theres die schönste junge Frau, die ich bis dahin überhaupt gesehen hatte“, erinnert sich Kroetz. 14 Jahre waren sie verheiratet, lebten die meiste Zeit davon auf Teneriffa. Dann, vor 20 Jahren, die Trennung. Vor zwei Jahren machten sie sich aber noch einmal gemeinsam auf den Weg nach Teneriffa, in das Haus, um einen alten Mercedes 190 E abzuholen und ihn nach Pasing zu fahren. Die beiden notierten ihre Gedanken und schickten sie, ohne sie gegenseitig gelesen zu haben, dem dtv Verlag, der ein Buch daraus gemacht hat: „Szenen keiner Ehe“. Wir trafen Relin und Kroetz zum Gespräch darüber – na klar, im Portofino.

Es heißt, es sei Ihr Lebenswunsch gewesen, gemeinsam diese Reise zu tun.

Franz Xaver Kroetz: Nein, es war ein Zufall. Ich wollte mir noch mal einen schönen Oldtimer zulegen und dachte: Franz Xaver, du hast doch zwei wunderschöne alte Autos in der Garage – einen Mercedes 190 E auf Teneriffa und einen 450 SEL 4,9 Liter auf deinem Hof im Chiemgau. Doch der auf Teneriffa war der besser erhaltene. Dann dachte ich: Das ist doch toll, ich mach noch mal eine Reise wie Hemingway.

Mit Ihrer Exfrau…

Kroetz: Eigentlich wollte ich eines meiner Kinder mitnehmen – die hatten aber nicht so viel Zeit. Und dann hat sich Frau Kroetz-Relin bereit erklärt. Anfangs dachte ich: Mit ihr will ich nicht fahren, wir sind geschieden und das ja nicht, weil wir uns so gern gehabt haben. Dann war es eine Notlösung. Aber eine tolle, denn sie ist ein Organisationsgenie, sie kann Spanisch, sie kann alles!

Ja, auch sehr gut kochen.

Kroetz: Ja, allerdings viel zu wenig auf der Reise. Marie Theres Relin: Weil wir viel im Hotel waren, doch in den Wochen auf der Insel habe ich täglich gekocht.

Wie hat die Reise Ihre Beziehung verändert?

Kroetz: Wir verstehen uns wieder besser.

Sie würden Marie Theres auch noch mal heiraten – haben Sie jedenfalls geschrieben.

Kroetz: Nein. Das ist eine Figur, die ich autofiktional entwickelt habe – für ein gutes, saftiges Stück brauche ich das Positive, ihre Schönheit, alles was sie hat. Wenn Sie das aber alles auf mich beziehen, sind Sie auf dem Holzweg. Es ist vieles erfunden oder zumindest weitergestrickt.

Und wie sieht es bei Ihnen aus, Frau Relin – wie viel Fiktion ist in Ihren Texten?

Relin: Fiktion kann man nicht sagen, es sind Momentaufnahmen, sehr nah an meinen Realitäten. Nicht zeichnend für mein Leben, aber ein Ausschnitt.

Ist durch die Reise die Liebe wieder erwacht?

Kroetz: Nein. Relin: Aus der Liebe sind unsere drei Kinder entstanden. Jetzt bin ich bei meinem Ex-Mann als Kollegin aufgestiegen. Dass wir jetzt Lesungen zusammen haben – das hatten wir nie. Darüber freue ich mich. Kroetz: Ja, das ist richtig: Kollegin ist sie geworden! Relin: Als wir nach Teneriffa geflogen sind, fiel mir der Titel ein: „Szenen keiner Ehe“. Unsere Abmachung war: Jeder schreibt täglich und wir wissen nicht, was der andere schreibt.

Wie war das, als Sie schließlich die Texte des jeweils anderen gelesen haben?

Relin: Ich hab manchmal Schnappatmung bekommen.

Der Kroetz kann schonungslos deftig sein, wenig Milde walten lassen.

Relin: Ja, aber als ich die Texte nebeneinandergestellt habe, so wie sie jetzt im Buch sind, dachte ich: Es funktioniert! Es sind zwei unterschiedliche Standpunkte, die ineinanderfließen – das ist spannend und eine Kunstform, die man nie hätte planen können. Kroetz: Meine Notizen waren sehr mager, und ich musste unheimlich vieles erfinden – warum auch nicht, ich bin ja Schriftsteller. Seit 60 Jahren. Natürlich habe ich einen saftigen Text daraus machen wollen. Für mich aber ist klar: Es wurde ihr Buch. Ich schreibe über Dinge, über die ich jetzt auch schon seit 20 Jahren schreibe, über Alter und Zerfall, das habe ich weitergesponnen.

Und wie ging es Ihnen mit den Textinhalten von Marie Theres?

Kroetz: Mir war es eigentlich wurscht, weil die ganzen Vorwürfe kenne ich ja schon lange. Aber: Sie hat das richtig toll geschrieben! Da war ich begeistert! Relin: Sein Text könnte allein stehen, mein Text könnte allein stehen. Kroetz: Nein, mein Text könnte nicht allein stehen, das würde kein Schwein interessieren. Meiner geht nur mit dem von Marie Theres.

Das hört sich ja fast schon liebevoll an, Herr Kroetz.

Kroetz: Das ist kein Kompliment, das ist die Wahrheit. Bei meinem Text würden die Leute sagen: Der Alte schreibt immer noch über den gleichen Mist. Er ist impotent, er kann nimmer schreiben, er kann nimmer leben, er kann nimmer gehen. Aber bei ihr gibt’s wirklich neue Sachen.

Sie sind schon gnadenlos: Während Sie im Hotel im Doppelbett komfortabel geschlafen haben, musste Ihre Frau im Badezimmer nächtigen.

Kroetz: Wenn man die Frau kennt, stellt man diese Frage nicht. Die Frau redet oder sie schnarcht. Sie ist niemals still. Wenn sie im Schlafzimmer geblieben wäre, hätte ich sie erwürgt. Es gibt eine Radikalität, wenn jemand so schnarcht wie diese Frau.

Ein intimes Detail. Noch intimer wird es, wenn Marie Theres den sexuellen Missbrauch ihres Onkels schildert, als sie 14 war. Sie hat es Ihnen nie erzählt, erst im Buch. Ohne Namen zwar, der erschließt sich aber…

Kroetz: Als ich an die Stelle kam, dachte ich: Das ist mutig, da ist noch mal eine neue Qualität drin. Dass er sich das mit so einer gnadenlosen egozentrischen Rücksichtslosigkeit überhaupt getraut hat – diesen pädophilen Moment krieg ich nicht in meinen Kopf hinein. Relin: Es war so, wie es beschrieben ist, und ich habe mich besonders kurz gefasst – ohne Namen. Die Opfer kommen nie zu Wort und die Täter sind eben oft nicht Fremde, sondern aus der eigenen Familie – und genau hier beginnt das Problem der Opfer-Täter-Umkehr. Die Opfer sind so in dieser Familienstruktur verankert, sie können sich gar nicht wehren. Ich konnte es innerhalb der Familie auch nicht sagen, da wäre von allen das Weltbild zusammengebrochen. Erst jetzt konnte ich es schreiben. Meine Mutter hatte immer um eine männliche Anerkennung gebuhlt, und sie wurde von diesen Männern teilweise schrecklich behandelt. Wenn wir Frauen nicht den Mund aufmachen, wird sich nie etwas ändern!

Mit der Hausfrauenrevolution vor 20 Jahren haben Sie ja den Mund aufgemacht.

Relin: Doch erst jetzt ändert sich etwas und immer noch sehr wenig. Kroetz: Ich hab das einfach nicht kapiert, dass die junge Frau mehr braucht als ihr Hausfrauendasein. Wenn ich irgendetwas rückwärts denkend unangenehm erinnere, dann dies: Du hast der jungen Frau keine Entwicklungsmöglichkeit gegeben, du hast ihre Existenz nicht zugelassen – außer in diesem Kasten unseres Haushalts. Ich bin jetzt 77 und nicht so erzogen, dass Frauen Raum brauchen. Ich komme aus einem extrem kleinbürgerlichen Haus, meine Mutter war kriegsgeschädigt, mein Vater hatte alle zwei Weltkriege mitgemacht – ein scheußliches, ängstliches Gefängnis. Dies habe ich natürlich weitergegeben – was denn sonst?

In den Aufzeichnungen geht es immer wieder ums Geld – sind Sie ein Geizhals, Herr Kroetz?

Kroetz: In keinster Weise, sie hat doch alles bekommen. Ich bin mit 15 auf die Schauspielschule, hatte keine Jobs; wenn man kein Geld verdient und ein existenziell geerdeter Künstler ist, ist es verdammt schwierig. Da kann ich nur dem Herrgott danken, dass ich so viel Geld verdient habe mit der Schauspielerei, mit der konnte ich den Schriftsteller alimentieren. Relin: Das will ich aufzeigen, deshalb habe ich vor 20 Jahren die Hausfrauenrevolution gegründet: Wenn du dich entscheidest, 18 Jahre lang Kinder großzuziehen, hast du die Arschkarte gezogen. Meine Rente beläuft sich auf 650 Euro. Wie soll ich da überleben? Natürlich muss ich das überspitzt darstellen, sonst hört ja keiner zu. Im Buch ist das Stück „Der Herrgottsschnitzer“ ein Ewigkeitswerk, das nie fertig wird. Kroetz: Es steht für die lebenslange Qual des Künstlers vor dem Werk, das nicht funktioniert. Es ist eine Metapher für den sisyphos’schen Künstler, der sich ununterbrochen bemüht und sich für sein Werk von Gott Wohltaten, Hilfe und Lob wünscht. Ich hoffe, dass man bei dem Buch merkt, dass es eine literarische Bemühung ist.

Das Gespräch führte Ulrike Schmidt.

Marie Theres Relin/ Franz Xaver Kroetz:

„Szenen keiner Ehe“. dtv, München, 320 Seiten; 25 Euro. Lesung: Relin und Kroetz stellen ihr Buch am 16. Oktober, 20 Uhr, im Residenztheater vor. Karten unter 089/ 2185 1940.

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