Begeistertes Raunen beim Öffnen des Vorhangs gehört fast schon dazu, wenn Otto Schenks „La Bohème“-Inszenierung aus dem Jahre 1969 hervorgeholt wird. Schließlich ist in der dienstältesten Produktion der Bayerischen Staatsoper alles noch „genauso, wie es gehört“. Wobei der sanft rieselnde Schnee im dritten Bild dieses Wochenende auch für Schmunzeln sorgte, hatte sich das Publikum doch selbst auf teils abenteuerliche Weise den Weg ins Nationaltheater bahnen müssen.
Belohnt wurde man dafür gleich mehrfach. Zunächst einmal mit dem ersten Münchner Rodolfo von Jonathan Tetelman, der kurzfristig für Joseph Calleja übernommen hatte und mit offenen Armen empfangen wurde. Die Karriere des US-Amerikaners mit chilenischen Wurzeln scheint momentan nur eine Richtung zu kennen: steil nach oben. Was er neben seiner imposanten Bühnenerscheinung nicht zuletzt seinen durchschlagskräftigen Spitzentönen verdankt, die allerdings noch nicht durchwegs mit der weichen Mittellage seines edel timbrierten Tenors verbunden scheinen. Zweifellos aber eine Stimme mit enormem Potenzial, der man im Opernbetrieb hoffentlich Zeit zur Entwicklung gönnt.
Das eiskalte Händchen, das Tetelman so einschmeichelnd zu besingen wusste, gehörte an diesem Abend Nicole Car, die als Mimì vom Publikum ebenfalls sofort ins Herz geschlossen wurde. Ihr warmer Sopran strahlte in beiden Arien mühelos über das Staatsorchester, war jedoch gleichzeitig zu zart gesponnenen Tönen fähig, die Cars Rollenporträt eine anrührende Verletzlichkeit gaben.
Im Graben stand dazu mit Andrea Battistoni ein versierter Kapellmeister im besten Sinne des Wortes, dem es gelang, in dieser Repertoirevorstellung jeden Anflug von Routine im Keim zu ersticken. Der Italiener behielt seine Sängerinnen und Sänger stets aufmerksam im Blick und wusste neben den großen dramatischen Momenten vor allem in den humorvollen Episoden zu punkten, die von Davide Luciano als Marcello und seiner Musetta Mirjam Mesak mit großer Spielfreude ausgekostet wurden.