Im Abspann ist die Sache eindeutig. Der Star dirigiert, frontal, quasi mit Blick ins Kino-Parkett. Aber bei den ersten Szenen, im Profil, etwas abgewandt, weiße Mähne, mit qualmender Fluppe zwischen den Fingern, da gerät man schwer ins Grübeln: Leonard Bernstein? Tatsächlich ist es Bradley Cooper. Und die ganze Debatte, ob der Schauspieler politisch inkorrekt war, als er sich eine „jüdische Nase“ ankleben ließ, muss nach den ersten Minuten verstummen. Es geht nicht um die Nase, nicht um künstliche Wangen, nicht um die Perücke. Es geht um eine totale Anverwandlung. Verblüffend gut ist das, erschreckend gut sogar.
Cooper hat nicht einen der bekanntesten Dirigenten und Komponisten des 20. Jahrhunderts kopiert, er hat sich in ihn hineinbegeben. In der Haltung, in den Bewegungen, im Sprachduktus, sogar in den Dirigierbewegungen. Minutenlang, das riskiert dieser Film, erlebt man das monumentale Chor-Finale von Mahlers zweiter Symphonie. Die hemdaufreißende Emphase, der heute nicht mehr denkbare Emotionsüberschuss eines Pultstars ist da zu sehen, aber wirklich auch Bernsteins Dirigierstil bis hin zu kontrollierenden Blicken und kurzen Zwischenschlägen mit dem Taktstock. Cooper ist vielleicht der erste Kino-Star, dem man das Dirigieren abnimmt – so viel zu „Tár“, das 2022 herausgekommene Epos über eine fiktive Maestra.
Und jetzt kommt das große Aber. Auch wenn „Maestro“, dieser im Vorfeld schwer gehypte Film, Bernstein in den Mittelpunkt rückt, so ist entscheidend, was dieses Biopic alles nicht zeigt: die einzelnen Karriere-Stationen, das genaue Entstehen und den Erfolg der „West Side Story“, Bernsteins Rolle in der Gustav-Mahler-Renaissance oder das intensive Wirken in Europa. Überhaupt wird dieser Dirigent hier auf seine Bedeutung in den USA verkleinert – trotz der engen Partnerschaft mit den Wiener Philharmonikern zum Beispiel oder zum Schleswig Holstein Musikfestival. Bernsteins weltweite Rolle bleibt dadurch eher unterbelichtet.
Cooper, der auch Regie führte und mit Josh Singer das Drehbuch schrieb, geht es vielmehr um einen Ausschnitt aus Bernsteins Leben. „Maestro“ lässt also vieles weg und tippt manches nur an. Aber was er thematisiert, zeigt er richtig und umfassend. Es ist die Liebesgeschichte zwischen Leonard und seiner chilenischstämmigen Frau Felicia. Eine Ehe, die unter doppelten Druck gerät. Weil hier ein Künstler-Narziss ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse seines Gegenübers durchs Leben pflügt. Und weil er sich dabei immer wieder Affären mit Männern gestattet. Erst als Felicia unheilbar an Krebs erkrankt ist, kehrt Bernstein zu ihr und den Kindern zurück.
Manchmal driftet der Film ins Surreale, wenn der junge Leonard sich als Tänzer in ein Musical hinein imaginiert. Und einmal legt der stets gehetzte, übertourige Protagonist eine Vollbremsung ein, es ist wie die Generalpause in einem Musikstück – als er seine Tochter belügt und ihr dabei tief in die Augen blickt: Nein, natürlich stimme das nicht, was über Daddy und die Männer erzählt werde.
In Carey Mulligan als Felicia hat Bradley Cooper eine Sparringspartnerin auf Augenhöhe. Die hingebungsvolle Liebe, die Wut, das langsame Verlöschen dieser Frau, all das wird (fast) ohne Kitsch- und Klischee-Alarm ausgestellt. Die Dialoge der beiden, ihre späteren Wortgefechte wirken teilweise wie improvisiert. Ein realer, ungeschönter Blick ins Innerste einer Ehe. Dass pro Filmminute gefühlt eine Schachtel Zigaretten verpafft wird: geschenkt. Und auch wenn die Innenansichten des Privatlebens fiktiv sein müssen, ist alles plausibel. Im Grunde, das suggeriert dieser Film, könnte „Maestro“ auch die Geschichte eines Schauspielers oder eines Rock-Stars sein. Die klassische Musik und das Musical sind „nur“ Folien für die Analyse eines Egomanen. Und dass Cooper sich dabei ebenso egomanisch in Szene setzt, dass er fast alles steuert bei diesem Epos, dass er es vor dem Netflix-Start nur kurz ins Kino bringt, um bei den Oscars abzusahnen – auch dies passt perfekt zu einem Dirigenten, der seine Umgebung nur wahrnahm als Trabantensystem einer Sonne.
„Maestro“
mit Bradley Cooper, Carey Mulligan
Regie: Bradley Cooper
Laufzeit: 129 Minuten
Hervorragend (((((