„Die kochen auch nur mit Wasser“, sagt man gern über Klaviervirtuosen. Doch das jüngste Konzert von Daniil Trifonov in der Isarphilharmonie wirft die Frage auf, ob in seinem Fall nicht vielleicht doch ein Zaubertrank im Spiel sein könnte. Technische Hürden scheint es für ihn nicht zu geben – wo seine Kollegen taumeln, tanzt er traumwandlerisch über die Tasten. Die größten Herausforderungen des Abends sind für ihn offenbar die Auf- und Abtritte, die er absolviert, als wolle er den Ovationen ausweichen, die ihn wie Herbststürme umtosen. Der 32-jährige Russe ist kein Showman, der sich im Rampenlicht sonnt, sondern ein tiefgründiger Künstler, der mit fulminanter Furchtlosigkeit hineinstürzt in schwindelerregende Passagen und emotionale Abgründe.
Auch mit wenigen Noten kann er ganze Welten erschaffen. Unter seinen Händen, die jeden einzelnen Takt intelligent und intensiv gestalten, wird sogar ein relativ schlichtes und ereignisarmes Werk wie Mozarts F-Dur-Sonate KV 332 zum Ereignis. Bei Rameaus A-Moll-Suite, einer wahren Ornamentik-Orgie, verbindet er eine Fülle von federleichten Verzierungen mit der sprudelnden Melodik – und fasziniert mit einer ganzen Palette zartester Abschattierungen im Pianissimo. In Mendelssohn-Bartholdys Variations sérieuses steigert er sich von den Synkopen-Seufzern zu Beginn in einen Rausch, bei dem seine über die Flügeltasten fliegenden Finger an die flinken Flügelschläge eines Kolibris erinnern.
Geradezu surreal wird es nach der Pause, wenn er Beethovens Hammerklaviersonate als rasanten Ritt zwischen Exerzitien und Ekstase interpretiert. Der Kopfsatz: ein revolutionärer Wurf. Das Scherzo: ein grotesker Spuk. Das Adagio: pure Poesie, packend und herzzerreißend. Und dann der Gipfel: die mörderische Schlussfuge, die Trifonov in atemberaubendem Tempo bewältigt.
Man fragt sich: Wie kann jemand so schnell und zugleich so kristallklar und hyperpräzise spielen, aus wahnwitzigen Sechzehntel-Läufen zudem noch verschiedene Melodien herausmeißeln und dabei quasi zum Orchester mutieren, indem er jeder Stimme in der Fuge einen individuellen Charakter verleiht? Vollkommen unbegreiflich ist das. Die reinste Magie. Ein Wunder, das uns sprachlos vor Staunen zurücklässt – und trunken vor Glück. MARCO SCHMIDT