NEUERSCHEINUNG

Die Kirche ist nicht am Ende

von Redaktion

Kardinal Marx macht Mut mit „Kult“

„Verkündigung“ von Brigitte Stenzel hängt als Altarbild in der Hauskapelle des Kardinals. © Bayer/Diözesanmuseum

Kirche ist Kult? Unter jungen und junggebliebenen Menschen dürfte diese Frage in Jugendsprech bei vielen ein mitleidiges Lächeln auslösen. Welche sinnstiftende Bedeutung der Kult aber fürs Überleben der katholischen Kirche hat, arbeitet Kardinal Reinhard Marx in seinem neuen Buch heraus, das heute im Verlag Kösel erscheint.

In dem Essay über gut 170 Seiten, der zugleich ein selbstkritischer Rückblick aufs eigene Leben und Wirken ist, versucht der 71-jährige Erzbischof von München und Freising eine Standortbestimmung der Kirche. Das Buch gleicht einer Selbstvergewisserung und einer Ermutigung: Das Christentum und hier speziell der Katholizismus seien „noch lange nicht zu Ende“. Und zwar nicht aus Selbsterhaltungstrieb, sondern weil es „auch gut für das Land“ ist. „Und deshalb“, so ist Marx‘ Fazit, „geht die Zukunft des Christentums uns alle an.“

Der Kardinal nimmt den Leser mit in die inneren Auseinandersetzungen und Debatten, die in der Kirche seit der „bitteren Katastrophe von Gewalt und sexuellem Missbrauch durch Amtsträger“ die Zukunftsdiskussionen überschatten. Marx beschönigt nichts, betont ausdrücklich, seine persönliche und die institutionelle Verantwortung zu tragen. Glaubhaft schildert er, wie die persönliche Begegnung mit Missbrauchsbetroffenen ihn verändert hat.

Ein Rückzug der Kirche auf Ethik und soziale Dienste – das ist dem Kardinal nicht nur zu wenig, sondern wäre auch ihr Ende. „Die Kirche wird nicht überleben nur in caritativen Einrichtungen und Bildungsinstitutionen, sondern braucht unabdingbar die Erfahrung der lebendigen Gemeinschaft des österlichen Auferstehungskultes.“ Der Kult, also die gemeinsame Feier des Glaubens, sind das „Herz des ganzen Unternehmens“. Wohl wissend, dass es immer weniger Kirchgänger gibt. Die eigentliche Existenzkrise der Kirche sieht der Kardinal denn auch im Auseinanderfallen von Kultgemeinschaft und Kirchenmitgliedschaft. Es müsse gelingen, mit der Liturgie und dem Kirchenraum eine Begegnung mit dem Göttlichen zu ermöglichen, den „offenen Himmel“ zu vermitteln.

Das Altarbild in der Kapelle des Bischofshauses gibt eine Idee davon, was Marx meint. Auf dem Bild der Künstlerin Brigitte Stenzel mit dem Titel „Verkündigung“ ist Maria zu sehen, die einen Vorhang öffnet, um das Licht zu durchschreiten. Aber noch wagt sie nur einen vorsichtigen Blick. Das nicht Sichtbare, das nur durchscheint, ist die Dimension, die der Glauben in die Welt trägt.

Der Glauben, so ist Marx überzeugt, ist ein „Stoppschild der Ökonomisierung der Welt“. Ohne Orientierung auf die Menschenwürde und das Gemeinwohl werde ein solch ökonomisches System, kombiniert mit politischen Machtinteressen, „zur Zerstörung der Welt, zu Konflikten und Kriegen“ führen. Im Christentum sieht er den Gegenentwurf zum Funktionalismus. Von Schuldzuschreibungen an die Moderne hält der Autor aber gar nichts. „Man macht es sich zu leicht, wenn man die Entwicklung zur offenen Gesellschaft insgesamt als Irrweg deutet“, schreibt er. Einen Rückschritt in eine geschlossene Welt lehnt er ab. Im Gegenteil: Das Christentum sei Kraftquelle und Ort der Erneuerung der Welt „im Geiste Christi“.

Marx setzt auf eine synodale Kirche, deren Grundzüge gerade in der Weltkirche entwickelt werden. Ein neues Miteinander wünscht er sich. Und: eine Aufwertung der Frauen. „Ich komme jedenfalls immer mehr zu der Überzeugung, dass es keine Frage des Geschlechtes sein sollte, das darüber entscheidet, wer einer sakramentalen und kultischen Feier vorstehen kann.“ Entscheidend sei vielmehr, dass Amtsträger geistliche Menschen seien, die vom Evangelium her und ihrer Kompetenz Menschen versammeln. Auch wenn vielfach von Auszehrung der Kirche in Europa orakelt wird, sieht Marx das Christentum nicht auf dem Weg zu einer „soziokulturellen Endmoräne“: „Die Zukunft der Kirche in Deutschland liegt in Deutschland!“, ist er überzeugt. Und dafür braucht es den Kult.
CLAUDIA MÖLLERS

Reinhard Marx:

„Kult“. Kösel-Verlag, München, 176 Seiten; 20 Euro.

Lesung: Kardinal Marx stellt sein Buch am Montag, 31. März, um 19 Uhr im Kulturzentrum Bergson vor und diskutiert mit dem Soziologen Hartmut Rosa über Christentum und Demokratie. Karten gibt es online unter www.bergson.com.

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