Das Stück passt erschreckend genau in unsere Gegenwart: die Schauspieler Oliver Stokowski und Barbara Horvath in „Die Gewehre der Frau Carrar“. © Sandra Then
Das Bayerische Staatsschauspiel gastierte mit seiner Marstall-Produktion „Die Gewehre der Frau Carrar/ Würgendes Blei“ an zwei Abenden beim Berliner Theatertreffen 2025 im Haus der Berliner Festspiele. Die Teilnahme an dieser von einer Jury getätigten alljährlich stattfindenden Auswahl der zehn „bemerkenswertesten“ deutschsprachigen Aufführungen des vergangenen Jahres gilt als eine besondere Auszeichnung. Jetzt war Halbzeit in der Bühnen-Leistungsschau (2. bis 18. Mai), und die Münchner Inszenierung von Luise Voigt hat einen Platz ganz oben verdient.
Bertolt Brechts kleines Stück „Die Gewehre der Frau Carrar“, zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs der Republik gegen die Franco-Faschisten 1937 geschrieben, passt erschreckend genau in unsere Gegenwart. Ebenso die klug gedachte Aufführung, die dem traditionell verfassten Stück mit strenger historischer Genauigkeit und einem leicht überhöhten Spiel den sprichwörtlichen Verfremdungseffekt gewinnbringend aufdrückt und damit diesem kleinen Drama zu aktuellem Glanz verhilft.
Eine Ergänzung Brechts durch Björn SC Deigners Text „Würgendes Blei“ als Fortschreibung ins Heute wäre nicht zwingend gewesen. Sie ist zwar in Gestalt von philosophisch-gegenwärtiger Betrachtung nicht ohne Inhalt, aber doch ohne Handlung. Da hätte allerdings ein Hinweis auf die deutsche Faschisten-Beteiligung der Legion Condor, die für Franco bombte, gut getan. Wenn aber die hervorragende Barbara Horvath als Carrar Brecht/ Eislers „Lied einer deutschen Mutter – Mein Sohn, was immer auch aus dir werde…“ singt, ist das der emotionale und aktuelle Höhepunkt der Aufführung. Das ist nicht zu überbieten.
Was ist nun das „Bemerkenswerteste“ einer Aufführung? Dass schlecht gesprochen wird oder etwa bemerkenswert gut? Dass nicht ein Theaterstück, sondern mal wieder ein großer Prosatext gespielt wird – wie etwa bei dem sehenswerten Gastspiel „Blutbuch“ aus Magdeburg, dem von Jan Friedrich auf die Bühne gebrachten preisgekrönten Roman von Kim de l’Horizon über das Erwachsenwerden der bipolaren Ich-Erzählerin/ des Ich-Erzählers? Vielleicht am „bemerkenswertesten“, dass besonders viel Video und Livekameras zum Einsatz kommen oder ganz darauf verzichtet wird? Dass die Schauspielerinnen und Schauspieler im Mittelpunkt stehen oder ihrer Rollenpersönlichkeit beraubt werden, wie geschehen in der Auftakt-Inszenierung vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg, „Bernarda Albas Haus“ nach (mal wieder) Federico Garcia Lorca? Indem Regisseurin Katie Mitchell über weite Strecken Dialoge und Monologe der fünf Töchter gleichzeitig sprechen und sich gegenseitig überlagern lässt, beraubt Mitchell sie ihrer Individualität. Das macht die Figuren beliebig, kaum unterscheidbar. Die Inszenierung wird ort- und zeitlos. Ungeachtet der großartigen schauspielerischen Leistung Julia Wieningers rutscht die Aufführung ab ins Sentimentale.
Aus Hamburg außerdem nach Berlin gekommen: das so absurde wie lehrreiche, so intelligente wie witzige Sprachstück „Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh“ von Georges Perec in der Regie von Anita Vulesica. Sehr höhepunktverdächtig.
Dieses 62. Theatertreffen ist täglich rund um die Uhr aktiv. Sein Herzstück sind die zehn großen Aufführungen. Alle so gut wie ausverkauft. Bis jetzt ist ihnen eines gemeinsam: Es gibt keine Pause. Zumindest also für die Foyer-Gastronomie nicht lohnenswert.
SABINE DULTZ