„Und dennoch sind wir da“

von Redaktion

Matinee am Gärtnerplatz zum jüdischen Leben in München

Sie begleiteten am Sonntagmittag die Texte: Mezzosopranistin Sophie Rennert und Pianistin Ekaterina Tarnopolskaja.

Blick ins Publikum bei der Matinee des Vereins „Synagoge Reichenbachstraße“ im Gärtnerplatztheater.

Erinnerung an Margot Friedländer an der Theaterkasse.

Luden zum literarisch-historischen Rundgang durchs jüdische München ein: Rachel Salamander (2. von re.), die Schauspielerin Sibylle Canonica, ihr Kollege Axel Milberg (re.) sowie der Kulturwissenschaftler Jens Malte Fischer. © Marcus Schlaf (4)

Vom Haupteingang des Gärtnerplatztheaters bis zur Synagoge an der Reichenbachstraße sind es keine 100 Schritte, sondern 93 – um ganz exakt zu sein. Und während hier derzeit die von Architekt Gustav Meyerstein 1931 errichtete Synagoge renoviert und in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt wird, findet dort, auf der Bühne des Staatstheaters, eine Matinee statt, die das Publikum mit auf einen literarisch-historischen Spaziergang durch die wechselvollen Zeitläufte des jüdischen Lebens in München nimmt.

Heuer wird die „Reichenbachschul“ wiedereröffnet

Der Verein „Synagoge Reichenbachstraße“ um Rachel Salamander, der, wie berichtet, seit mehr als zehn Jahren für die Wiederherstellung der „Reichenbachschul“ arbeitet, und das Gärtnerplatztheater haben zu dieser Veranstaltung geladen – und viele Menschen sind gekommen: etwa Israels Generalkonsulin Talya Lador-Fresher, Münchens Bürgermeister Dominik Krause, Mona Fuchs, Fraktionschefin der Rathaus-Grünen, Hoteldirektor Dietmar Müller-Elmau und zahlreiche weitere Freunde und Interessierte.

„Und dennoch sind wir da“ – mit dieser so wertvollen Feststellung des Schriftstellers Karl Wolfskehl (1869-1948) hat Salamander den Vormittag überschrieben, durch den sie gemeinsam mit dem Kulturwissenschaftler Jens Malte Fischer führt. Sie beginnen ihren Rundgang im Münchner Mittelalter, aus dem eine Urkunde erhalten ist, die 1229 „Abraham de Municha“ erwähnt. Heute der erste schriftliche Beleg für jüdisches Leben in der Stadt.

13 Texte, von Axel Milberg und seiner Schauspielkollegin Sibylle Canonica mit viel Gespür für Zwischentöne vorgetragen, führen bis fast in die Gegenwart. Das Spannende an dieser Auswahl ist, dass neben bekannten Namen auch weniger bekannte Texte vorgestellt werden. Da gibt es den bereits erwähnten Wolfskehl, Fritz Kortner, Gershom Scholem oder Carl Oestreich, dessen Bericht über die „Zerstörung der Hauptsynagoge“ bei jeder Begegnung erneut zu Herzen geht. Martin Feuchtwanger, Lions jüngerer Bruder, notierte in „Zukunft ist ein blindes Spiel“ über den 30. Januar 1933, jenen Abend, an dem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde: „Eine halbe Stunde später schon hatte sich Deutschland gewandelt.“ Benno Engelhard erinnerte an das Geschäft seiner Eltern, „Ein Handwerksbetrieb im Gärtnerplatzviertel“. Begleitet, kommentiert, gerahmt werden die Texte von Mezzosopranistin Sophie Rennert und Pianistin Ekaterina Tarnopolskaja, die Werke von Viktor Ullmann, Heinrich Schalit und Erich Wolfgang Korngold interpretieren. Hinreißend und aufregend glückt Tarnopolskaja das zweite aus den Fünf Klavierstücken op. 34 von Paul Ben-Haim.

Nach diesen reichen 90 Minuten stellt Rachel Salamander fest: „Heute gibt es wieder 9000 Jüdinnen und Juden, die eine Zukunft in München versuchen. Lassen Sie uns, die Bürger dieser Stadt, gemeinsam diese Zukunft bauen.“ Ein erster Erfolg ist die Wiedereröffnung der „Reichenbachschul“ im Herbst.
MICHAEL SCHLEICHER

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