Vergessenes Verbrechen

von Redaktion

Romy Hausmanns neuer Krimi „Himmelerdenblau“

Recherche im Pflegeheim: Romy Hausmann. © Kalaene/PA

Romy Hausmann ist eine der aktuell erfolgreichsten Thriller-Autorinnen Deutschlands. Die Adaption ihres Krimis „Liebes Kind“ wurde sogar mit einem Emmy ausgezeichnet. Aber auch ihre nachfolgenden Bücher wurden ausnahmslos Bestseller. Was sicherlich daran liegt, dass sie ohne Gewaltorgien auskommt und die Plots nie überkonstruiert wirken, sondern immer wie nebenbei dem realen Leben „abgelauscht“. Jetzt hat die junge Erzählerin nachgelegt und präsentiert mit „Himmelerdenblau“ ein clever durchdachtes Buch, das sich sehr bewusst allen bekannten Genre-Zuordnungen entziehen will. Aber gerade dadurch vermutlich viele neue Fans gewinnen könnte.

Im Zentrum steht der Berliner Rentner Theo. Seine damals 16-jährige Tochter Julie ist vor 20 Jahren spurlos verschwunden. Es gab einen Erpresserbrief, in dem Lösegeld gefordert wurde. Doch zu einer Übergabe kam es nie. Julie oder auch nur ihre sterblichen Überreste sind niemals wieder aufgetaucht. Die Familie zerbrach. Theo, verarmt und mittlerweile an Demenz erkrankt, will unbedingt noch erfahren, was seiner Tochter zugestoßen ist, ehe die Krankheit ihn endgültig alles vergessen lässt. Als die Zeitungen zum Jahrestag der Entführung den ungelösten Fall wieder ausgraben, kommt Theo in Kontakt mit der True-Crime-Podcasterin Liv. Gemeinsam gehen sie einer neuen Spur nach.

Authentisch erscheinen ihre Figuren immer. Aber mit Theo hat Romy Hausmann einen wirklich faszinierenden Charakter erfunden. Noch dazu einen, der deutlich neben dem liegt, wie die Helden oder Anti-Helden der deutschsprachigen Belletristik heute so auszusehen und aufzutreten haben. Sie selbst habe bisher keine persönlichen Erfahrungen mit Demenz gemacht, erzählt Romy Hausmann bei der offiziellen Buchvorstellung in München. Stattdessen hat sich die Autorin über einen langen Zeitraum regelmäßig einmal in der Woche in ein Pflegeheim bei Berlin begeben und dort mit dem Personal wie auch den Heimbewohnern gesprochen, gespielt, gesungen und gelebt und sich auf diese Weise einen ganz eigenen Zugang zu dieser Krankheit erschlossen. Der 74-jährige Theo ist kein Herzensbrecher, sondern ein alter, oft übellauniger Kauz und noch dazu ein unzuverlässiger Chronist, denn er bringt im Verlauf der Geschichte immer häufiger Wörter durcheinander. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen beim Lesen. Die Frage ist nur, ob man ihm überhaupt Glauben schenken kann? Die übrigen Charaktere sind allerdings auch nicht über alle Zweifel erhaben. Genau das macht „Himmelerdenblau“ so spannend. Eine besondere Empfehlung ist neben „Himmelerdenblau“ ganz allgemein die von einem beachtlichen Schauspielensemble und dem Podcaster Florian Gregorzyk sowie Romy Hausmann selbst gesprochene Lesung.ULRIKE FRICK

Romy Hausmann:

„Himmelerdenblau“. Penguin Verlag, 463 Seiten, 18 Euro.

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