Palliativ-Medizin in Corona-Zeiten: „Wir sind nicht mehr so ,nah’ dran“

von Redaktion

„Es sind besondere Zeiten, die besondere Maßnahmen erfordern“, sagt Prof. Dr. Berend Feddersen, der die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München leitet. Doch was genau bedeutet Corona für den Arbeitsalltag? Wir haben nachgefragt. Ein Protokoll:

„Unsere Patienten sollen bis zum Schluss daheim bleiben können – um im Kreis ihrer Familie zu sterben. Das gilt auch für Covid-19-Erkrankte. Doch die Corona-Pandemie stellt auch uns vor Herausforderungen: Wie können wir die Patienten und uns selbst schützen? Und: Wie können wir die Versorgung von Covid-19-Patienten zu Hause – und in stationären Pflegeeinrichtungen – verbessern? Die meisten SAPV-Teams bestehen aus Pflegekräften, Ärzten und zum Teil Sozialarbeitern und Seelsorgern. Dadurch sorgen wir bei den Betroffenen stets für eine gute Symptomkontrolle – physisch, aber eben auch psychisch und spirituell. Wir sind immer ausgerüstet mit Medikamenten, Tabletten und auch Spritzen, falls das Schlucken nicht mehr funktioniert. Zusätzlich haben wir alles zur Wundversorgung dabei, zudem Material, um etwa einen Blasenkatheter zu legen. Das ist etwas, was mich immer wieder extrem beruhigt: Wir sind sehr autark, denn wir haben alles im Auto dabei!

Eine besonders enge Versorgung wird häufig in den letzten Tagen notwendig – oder wenn sich der Gesundheitszustand massiv verschlechtert. Dann bekommen Familien eine sogenannte 24-Stunden-Rufbereitschaftsnummer: Sie können sich jederzeit melden, wir kommen – damit lassen sich Notarzteinsätze und Krankenhauseinweisungen vermeiden. Durch die Corona-Pandemie hat sich viel für uns verändert. Immerhin: Wir haben sofort einen einmaligen Schulterschluss aller SAPV-Teams in München hinbekommen, sind deutlich näher zusammengerückt als bisher.

Insgesamt gibt es in der Stadt vier SAPV-Teams, vom Christophorus-Hospiz-Verein, dem Hospizdienst DaSein, dem Krankenhaus der Barmherzigen Brüder und unserem Team, zudem das SAPV Team West und das Zentrum für ambulante Palliativversorgung in Oberhaching der Caritas. Wir haben nun eine Task-Force ,Corona-SAPV’ ins Leben gerufen, um uns zweimal die Woche in einer halbstündigen Telefonkonferenz eng abzustimmen. Ein häufiges Problem, was viele Teams haben, ist nach wie vor die Beschaffung von Schutzausrüstung. Teils haben diese Teams sogenannte FFP2-Masken für 25 Euro das Stück bestellen müssen! Es gibt zwar nun auch die Möglichkeit, zentral Schutzausrüstung zugewiesen zu bekommen, nur: Hier scheint die SAPV häufig nicht auf dem Schirm zu sein.

Sobald ein Patient typische Symptome hat, sind wir verpflichtet, beim Hausbesuch ,persönliche Schutzausrüstung’ zu tragen. Diese beinhaltet einen Kittel, Handschuhe, mindestens eine FFP2-Maske plus Augenschutz. Ein Team hat bislang keine Schutzausrüstung zentral zugewiesen bekommen, da dieses Team noch keinen Patienten mit einer bestätigten Covid-19-Infektion versorgen musste – sondern ,nur’ Bewohner in einem Pflegeheim mit Verdacht auf diese Infektion. Das ist sehr schwierig! Ich kann verstehen, dass die Ressourcen knapp sind und man ,haushalten’ muss, aber ein ärztlich bestätigter Verdacht sollte doch ausreichen, um auch ambulant eine entsprechende Schutzausrüstung zu bekommen? Da wir zum LMU-Klinikum gehören, ist dies bei uns einfacher geregelt und läuft bislang gut. Das gilt aber eben nicht für alle SAPV-Teams.

Zu Beginn der Krise war ja auch das Desinfektionsmittel knapp geworden. Ein Pflegedienst, der bei einem unserer Patienten unter anderem für die Wundversorgung zuständig war, hatte einfach keines bekommen. Aus der Not heraus haben sie dann die Wunde mit Whiskey gewaschen. Das ist ein wenig wie im Wilden Westen. Wir haben dem Pflegedienst dann eine Flasche mit Wunddesinfektionsmittel zukommen lassen. Eine Mitarbeiterin eines anderen Teams wurde auf offener Straße angesprochen, als sie die Medikamentenkoffer ins Auto räumte: Ob sie nicht Masken und Desinfektionsmittel habe? Seit diesem Vorfall lassen wir die Masken und Desinfektionsmittel nicht mehr sichtbar im Auto liegen – und wir vermeiden, wenn möglich, das „Arztschild“ auszulegen, um keine Begehrlichkeiten zu wecken. Auch solche Alltagsdinge hat uns Corona gelehrt.

Wir versuchen inzwischen, die Hausbesuche zu minimieren – um möglichst niemanden anzustecken. Dadurch telefonieren wir viel mehr, um eng dranzubleiben. Wir haben einige Kollegen jetzt im Homeoffice, die damit beschäftigt sind, Patienten und deren Angehörige anzurufen, um sie in der Krise zu unterstützen. Trotz all dieser Bemühungen bemerken wir, dass sich unsere Versorgung verändert: Wir sind nicht mehr so ,nah’ dran, wie uns das eigentlich wichtig ist. Vieles passiert ja durch das enge Verhältnis – dass man sich kennenlernt, dass man Vertrauen entwickelt und anfängt, auch zwischen den Zeilen zu lesen. Man wird feinfühlig für Stimmungen, Sorgen und Bedürfnisse. Das ist jetzt alles weniger stark ausgeprägt.

Offiziell machen wir unseren Job gut, aber es fehlt trotzdem diese wichtige Komponente. Das Sterben zu Hause zu begleiten ist etwas sehr Besonderes, wir haben Einblicke in Familien, die es so in der Klinik nicht gibt. Unsere Arbeit funktioniert ja deshalb so gut, weil wir den Menschen ein ,Sicherheitsversprechen’ geben, dass wir für sie da sind, wenn es richtig schwierig wird. Dieses lösen wir jetzt natürlich immer noch ein, es fühlt sich trotzdem anders an. Ein Kontakt mit Mund-Nasen-Schutz und Handschuhen auf Abstand ist einfach nicht das Gleiche, wie wenn man mal die Hand streichelt und durch die Berührung an der Schulter signalisiert: ,Ich bin da und stütze Dich!’“

Protokoll: Barbara Nazarewska

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