Es sind hochspezialisierte Geräte, die jüngst in den beiden Münchner Unikliniken in Betrieb genommen wurden – und Tumorpatienten jetzt noch bessere Behandlungsmöglichkeiten eröffnen. Während im Klinikum rechts der Isar seit März ein „Gamma Knife-System“ (Kasten) der neuesten Generation eingesetzt wird, nutzen die Strahlen-Spezialisten des LMU-Klinikums seit Juni ein weltweit bislang einzigartiges Gerät. Es soll vor allem Patienten helfen, die an Hirn- und Wirbelsäulentumoren bzw. Metastasen in diesen Körperregionen leiden. „Ich bin sehr dankbar für diese Chance“, sagt Monika Ohl-Püschel (61) aus München-Altperlach – die als erste von bislang neun Patienten weltweit mit dem neuen System behandelt worden ist.
Das revolutionäre Verfahren namens „ExacTrac Dynamic“ stammt aus den Entwicklungslabors der Münchner Firma Brainlab. Die Innovationsschmiede mit ihrer Zentrale am Riemer Messegelände ist der beste Beweis dafür, welches Tempo die digitale Revolution in der Medizintechnik aufgenommen hat.
Vor 30 Jahren hat es Brainlab noch gar nicht gegeben. Heute stattet das Unternehmen von Gründer und Vorstandschef Stefan Vilsmeier bereits mehr als 5000 Krankenhäuser in rund 100 Ländern mit Medizintechnik aus.
Der Heimat-Standort spielt dabei eine Schlüsselrolle: Gemeinsam mit Experten der Münchner Unikliniken feilt Brainlab an einer Weiterentwicklung seiner Technologien – auch im Fall des neuen Großhaderner Strahlentherapie-Geräts. „Wir stehen in engem Austausch“, bestätigt auch Klinikdirektor Prof. Claus Belka (53). Zu beseitigen gibt es demnach allenfalls technische Kinderkrankheiten. Denn in Sachen Sicherheit setzt das Gerät neue Maßstäbe. „Die Präzision ist unerreicht“, sagt Belka.
Dafür sorgt ein spezielles System, das unter anderem einen Oberflächenscanner nutzt, um die Position des Patienten jederzeit millimetergenau vermessen zu können. Vereinfacht erklärt kann man sich den Scanner wie eine Art Wärmebildkamera vorstellen. In Kombination mit einem digitalen Röntgengerät können die Experten den Strahleneinfall während der gesamten Behandlung überprüfen. Bei der geringsten Abweichung vom Zielgebiet wird die Therapie sofort kurz unterbrochen und das Gerät nachjustiert.
Die extreme Genauigkeit ist ein entscheidender Faktor – etwa dann, wenn es um die Behandlung sehr nahe am Rückenmark gelegener Tumoren geht. Würde die Strahlendosis in diesem besonders sensiblen Bereich auch nur um wenige Millimeter ihr Ziel verfehlen, könnte dies dramatische Folgen haben, beispielsweise eine Querschnittslähmung. Mit der neuen Technologie sei eine solche Komplikation nahezu ausgeschlossen. Auch Patienten mit sogenannten multiplen Hirnmetastasen können von der Hochpräzisions-Bestrahlung profitieren. „Sie ermöglicht es uns, gleich mehrere dieser Tochtergeschwulste gleichzeitig zu behandeln, in Einzelfällen sogar mehr als zehn Metastasen in ein- und derselben Sitzung“, erklärt der stellvertretende Klinikdirektor und Hirntumor-Spezialist Professor Dr. Maximilian Niyazi.
Metastasen blieben Patientin Ohl-Püschel zum Glück erspart, aber auch sie musste sich einer schweren Erkrankung stellen: Sie hörte immer schlechter, dazu kam nervtötendes Ohrensausen, ein sogenannter Tinnitus. Zunächst vermuteten die Ärzte einen Hörsturz, nach einer Magnetresonanztomografie (MRT) erhielt Ohl-Püschel die Diagnose: Akustikusneurinom – ein gutartiger Hirntumor. Er kommt selten vor, trifft in Deutschland etwa 800 Menschen pro Jahr. „Das war natürlich ein Schock“, erzählt die 61-Jährige. Die Bezeichnung gutartig klingt besser, als der Befund tatsächlich ist. Denn das Vestibularisschwanom – so der medizinische Name – bildet zwar keine Metastasen, kann aber trotzdem gewaltige Schäden anrichten.
Vor allem zerstört es den Hörnerv. Auch der Gesichtsnerv kann in Mitleidenschaft gezogen werden – schlimmstenfalls mit einer dauerhaften Gesichtslähmung (Fazialisparese) als Folge. Zudem kann sich der Tumor in den sogenannten Kleinhirnbrückenwinkel ausdehnen und Hirngewebe verletzen. Das lässt sich mithilfe der modernen Strahlentherapie aber in den allermeisten Fällen verhindern. Die lokale Kontrollrate, wie es auf Medizinerdeutsch heißt, liegt je nach wissenschaftlicher Arbeit bei mehr als 95 Prozent. Das bedeutet: Der Tumor schrumpft, oder er vergrößert sich zumindest nicht.
Doch die neue Brainlab-Technik in Großhadern bietet einen weiteren entscheidenden Vorteil: „Die Bestrahlung erfolgt in einem viel offeneren System als bislang. Die Patienten liegen nicht so beengt auf dem Behandlungstisch – und die Masken sind nicht so starr wie die früheren Modelle. In den Anfängen der Strahlentherapie musste der Schädel des Patienten noch in Metallrahmen verschraubt werden“, erzählt Experte Niyazi. „Durch die neue Technik können wir auch Patienten effektiv und komfortabel behandeln, die an Platzangst leiden.“
Dieser Mehrwert war für Monika Ohl-Püschel ein sehr wichtiger Punkt – neben der intensiven Betreuung vonseiten der Großhaderner Spezialisten. „Mich hat nicht nur das Medizinische überzeugt, sondern auch das Menschliche. Dadurch habe ich Vertrauen gefasst“, erzählt die Mutter zweier Töchter (28 und 32).
Eigentlich wäre ihre Bestrahlung bereits fürs Frühjahr geplant gewesen. Doch durch die Corona-Pandemie wurde der Startschuss verschoben. Weil Akustikusneurinome nur langsam wachsen, nahm auch Ohl-Püschel einige Wochen Wartezeit in Kauf, bevor sie als erste Patientin dem neuen Gerät quasi zu einer Weltpremiere verhalf. Insgesamt 30-mal fuhr sie nach Großhadern ins LMU-Klinikum, meistens chauffierte sie ihr Mann Claus (67).
Die Art einer solchen Behandlung nennt man „fraktionierte stereotaktische Strahlentherapie“. In anderen Fällen wird die komplette Strahlen-Dosis in einer Sitzung verabreicht, der Fachbegriff dafür lautet Radiochirurgie. „Welche Strategie sinnvoll ist, muss für jeden Patienten interdisziplinär und individuell festgelegt werden“, erläutert Prof. Niyazi. Die fraktionierte Behandlung hat auch den Vorteil, dass die Termine wesentlich kürzer sind als bei einer einmaligen Bestrahlung.
Im Fall von Patientin Ohl-Püschel waren die Behandlungen nach jeweils etwa einer Viertelstunde überstanden – und damit auch die Angst vor der engen Maske. Die Therapie hat sie insgesamt gut überstanden. „Ein bisserl müde war ich meistens, mehr nicht.“ Weitere mögliche Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Haarausfall oder Hautirritationen blieben ihr erspart. Das Risiko, durch eine moderne stereotaktische Strahlentherapie an Krebs zu erkranken, sei minimal und liege im theoretischen Bereich, betont Experte Niyazi.