So vermeiden Sie ein gefährliches Pillen-Chaos

München – Während Kinder, Jugendliche und jüngere Erwachsene in der Regel nur zeitweise Medikamente bei akuten Erkrankungen wie Infekten nehmen müssen, haben die Älteren oft ein ganzes Arsenal an Pillenpackungen. „Und Hochbetagte oder kognitiv eingeschränkte Menschen haben wieder andere Probleme“, bestätigt Dr. Viola Lenz. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin betreibt am Roecklplatz im Dreimühlenviertel ihre Hausarztpraxis. Tipps aus dem Praxis-Alltag:
Kinder
„Kinder können nicht gut Tabletten schlucken. Sie müssen darum liebevoll überlistet werden“, schmunzelt die Hausärztin. Für die Kleinen gibt es viele Medikamente als Säfte und Tropfen mit Fruchtgeschmack. Diese schmecken trotzdem oft bitter: „Ein kleines Gutti zur Belohnung darf da schon mal als Überredungshilfe dienen“, meint Dr. Lenz. Auch die Pharma-Industrie hat dazugelernt. Schmerzsäfte schmecken heute nach Erdbeere oder Orange.
Erwachsene
Jungen Leuten erklärt Dr. Lenz oft, dass man bestimmte Tablettenpackungen wirklich bis zum Ende nehmen muss. Während bei einem unkomplizierten Harnwegsinfekt oft bereits eine einzige Antibiotikagabe genügt, erfordert eine eitrige Mandelentzündung eine Behandlungsdauer von sieben bis zehn Tagen. Das Fatale dabei: „Meist fühlen sich die Patienten schon nach drei Tagen viel besser und denken, das war es jetzt.“ Wer Antibiotika aber zu früh absetzt, riskiert einen Rückfall oder Erreger-Resistenzen. Auch Schilddrüsenmedikamente müssen zuverlässig jeden Morgen genommen werden. „Viele Frauen kennen auch nicht die Wechselwirkung zwischen Antibaby-Pille und Antibiotika. Die Pille wirkt dann nämlich nicht mehr zuverlässig.“ Manche Medikamente wie Cholesterin-Senker, Blutdruck- und Diabetesmedikamente müssen als Dauer-Medikation eingenommen werden. „Auch das muss genau erklärt werden, damit die Patienten nicht denken, mit der Einnahme einer Packung sei alles wieder gut.“
Senioren
Ältere Menschen jenseits der 70 oder 80 Jahre leiden häufig an mehreren Erkrankungen wie Herzbeschwerden, Diabetes, Gicht und auch Schmerzen. Sie nehmen im Schnitt fünf bis sechs Tabletten täglich. Chronisch kranke Patienten sind zeitweise sogar auf 15 bis 20 Medikamente angewiesen. „Meiner Erfahrung nach fällt es den älteren, manchmal etwas vergesslichen Patienten oft schwer, sich die Namen der Präparate zu merken. Sie wissen aber, dass sie morgens die kleine Weiße oder abends die längliche Rote einnehmen müssen.“ Bei diesen Problemen hilft eine Pillenbox mit den Einteilungen morgens, mittags, abends und nachts sowie den Wochentagen. „Beim Hausbesuch kann ich mir einen Eindruck verschaffen, ob die Medikamenteneinnahme gut läuft“, so Dr. Lenz. „Wenn nicht, ist der Moment gekommen, einen Pflegedienst einzuschalten, der nur zur Medikamentengabe vorbeischaut. Denn viele meiner Patienten kommen ansonsten in ihrem Alltag noch recht gut selbstständig zurecht.“
Sechs wichtige Tipps
1. Eigenmächtige Dosierung: „Wenn ein Patient täglich eine Tablette von insgesamt 100 Stück nehmen sollte und er kommt erst neun Monate später wieder, suche ich natürlich das Gespräch“, so Dr. Lenz. Auch das – nicht weniger kritische Gegenteil – ist öfter der Fall. Typisches Beispiel: Schlaf- und Schmerzmittel. „Manche Patienten haben Sorge, dass die verordnete Dosis nicht ausreicht und erhöhen sie einfach.“ Dr. Lenz kann nicht verhindern, dass sich jemand bei anderen Ärzten weitere Rezepte holt. Ärztehopping nennt man das: „Besser wäre es aber, wir würden gemeinsam über Therapiealternativen sprechen.“ Auch Codein als Hustenstiller wird manchmal länger genommen als notwendig – „weil das so angenehm ist“.
2. Kapseln öffnen: „Nicht ohne einen Blick in den Beipackzettel“, warnt Dr. Lenz. „Denn die Hülle verhindert z. B., dass sich bestimmte Medikament im Magen auflösen Es gibt aber auch Kapseln, die man öffnen darf.“
3. Wechselwirkungen: „Diese Gefahr ist im Gegensatz zu früheren Jahren deutlich geringer geworden“, betont Dr. Lenz. Denn jeder Patient bekommt einen Medikamentenplan, der auf Wunsch auch ausgedruckt und ihm ausgehändigt wird – z. B. zur Vorlage bei anderen Ärzten oder auch in der Apotheke (siehe unten). „Bereits bei der Zusammenstellung macht mich mein Computer darauf aufmerksam, wenn Wechselwirkungen zwischen Medikamenten auftreten könnten.“ Die Apotheker haben das gleiche System. „Es ist darum ein weiterer Sicherheitsfaktor, wenn ältere Menschen immer zur gleichen Hausapotheke gehen.“ Das gilt insbesondere dann, wenn Patienten verschiedene Ärzte aufsuchen: „Ich rate allen Patienten, ihren Hausarzt zu informieren, wenn sie von einem anderen Arzt Medikamente bekommen haben. Das sollte ich unbedingt wissen.“
4. Uhrzeiten einhalten: Eisen-, Schilddrüsen- und Magenmedikamente sollten stets vor dem Frühstück genommen werden. Antibiotika, Schmerzmittel und Antiphlogistika (Entzündungshemmer) werden besser nach dem Essen vertragen. „Auf jedem Rezept sollte stehen, wann welches Medikament genommen werden muss. Das hilft allen, die viele Medikamente nehmen.“ Auf Wunsch schreibt der Apotheker die Angaben auch auf die Packung: Da steht dann etwa 1-0-1. Das bedeutet, dass Sie morgens und abends je eine Pille nehmen sollten.“
5. Nebenwirkungen: Schmerzmittel können Magen-Darm-Probleme und Antibiotika Darmentzündungen verursachen. Dr. Lenz: „Auch Impfungen haben zuweilen Nebenwirkungen. Und es gibt Herz-Medikamente, die Husten verursachen. Da hilft oft ein Medikamentenwechsel.“ Schwere Nebenwirkungen wie etwa das Anschwellen von Hals und Zunge oder Luftnot wären Anzeichen eines allergischen Schocks. Das ist ein Fall für den Notarzt.“ 6. Schluckprobleme: Körperlich bedingte Schluckprobleme sind selten. Eher spielt manchem die Psyche einen Streich. Denn: „Bei jeder Mahlzeit schlucken wir weitaus größere Bissen als jede Tablette.“ Für die Ängstlichen hat sie einen Tipp: „Nehmen Sie Tabletten zusammen mit einem Löffel Joghurt, Pudding oder Obstmus ein. Damit geht das Schlucken deutlich leichter. “