Waldameisenbuch von Arndt/Tautz. © Knesebeckverlag
Prof. Jürgen Tautz ist ein großer Ameisenfan.
Superkräfte: Ameisen schleppen einen Beutekäfer davon. Sie können das Zehnfache ihres Gewichts tragen.
Ganz dicht dran: Zwei Jahre lang beobachtete Ingo Arndt das Leben an und in einem Ameisennest.
Dieses Foto ist das Ergebnis unendlicher Geduld: Es zeigt eine Waldameise, die aus ihrem Ei schlüpft. © Ingo Arndt Photography (5)
Würzburg – Nicht weniger als „Superheldinnen“ sind Waldameisen für Jürgen Tautz. Der emeritierte Professor der Uni Würzburg hat schon in mehreren Büchern den Elfenbeinturm der Wissenschaft verlassen und schreibt verständlich, witzig und mit vielen Aha-Erlebnissen gespickte Bücher für eine breite Öffentlichkeit; den Ameisen wollte er endlich mal zu einem besseren Ansehen verhelfen. Etwas irritiert stellte er fest, dass man z.B. in Gartencentern bei insektenbezogenen Angeboten zwar Lebenshilfen wie Nisthilfen sowie Pflanzenangebote für Bienen oder Schmetterlinge findet, sonst aber jede Menge Insektenbekämpfungsmittel. „Und Ameisen tauchen stets in der zweiten Kategorie auf. Das haben diese großartigen kleinen Tierchen nicht verdient, zumal sie in vielen Ökosystemen eine höchst wichtige Rolle spielen. Waldameisen halten den Wald gesund, indem sie den Boden durchlüften, Pflanzensamen verbreiten, Schädlinge vernichten und viele Abfälle verwerten. Die winzigen Insekten, die bereits mit den Dinosauriern auf der Erde existierten, sind Meisterinnen der Arbeitsteilung und Zusammenarbeit“, begeistert sich Tautz. Sie sind einfach nur bewundernswert und überdies nach der Bundesartenschutzverordnung streng geschützt!
Der Tierfotograf Ingo Arndt hat Waldameisen und ihre bemerkenswerten Verhaltensweisen über zwei Jahre beobachtet und fotografiert. Dabei gelang es ihm zum ersten Mal überhaupt, Bilder von der Brutpflege der Waldameisen im Inneren des Nesthügels aufzunehmen; er nahm dabei zahlreiche Bisse und Säureattacken auf sich. „Fotos aus diesem Buch haben schon jetzt bei weltweiten Naturfotowettbewerben gegen erhebliche Konkurrenz erste Plätze belegt“, freut sich Tautz. So hat Ingo Arndt erst kürzlich für ein Foto aus diesem Buch in London den Preis „Wildlife Photographer of the Year Award“ bekommen – und das bei 60 000 Einreichungen aus 112 Ländern!
Gerade jetzt im Frühjahr ist das Leben der Waldameisen besonders spannend. „Die erste Aufgabe, die nach dem Winter Ameisen aus dem Nest nach draußen treibt, besteht im Aufbau einer lebenden Wärmepumpe aus tausenden von Einzeltieren. Dafür legen sich die Ameisen unbeweglich dicht an dicht auf die Oberfläche der Nestkuppel in die Sonne. Mitglieder der Kolonie, die nach dem Winter noch zu steif sind, um selbst aus dem Nest zu krabbeln, werden von bereits fitteren Schwestern nach oben geschleppt. Die Sonnenstrahlen heizen die Ameisenkörper auf, ein Effekt, den die dunkle Körperfärbung unterstützt. Ist ihre Körpertemperatur auf 30 bis 34 Grad Celsius gestiegen, kommt Bewegung in die Tiere: Sie eilen in das Innere des Nestes, wo sie Wärme an die kühlere Luft in den Gängen und Kammern abgeben. Sobald sie sich abgekühlt haben, kehren sie zurück nach draußen und tanken erneut Sonne – ein Kreislauf beginnt. An dieser Heizmethode beteiligen sich so viele Tiere so lange, bis die gewünschte Nesttemperatur in dem Bereich, in dem sich die Königinnen aufhalten, erreicht ist. Denn erst, wenn die Temperatur 20 Grad Celsius übersteigt, kann die Eiablage starten, die danach ohne Unterbrechung über viele Monate fortgesetzt wird.“
Und diese Königinnen sind gar nicht so nett: „Begattete Königinnen dringen in Nester anderer geeigneter Ameisenarten ein und töten die dortige Königin, wobei sie teilweise sogar von den Bewohnern dieses Nestes Unterstützung bekommen, denn bestimmte Duftstoffe am Eindringling lassen die fremde Königin offenbar attraktiver erscheinen als die eigene. Die Neue beginnt umgehend mit der Eiablage. Nun folgt der erstaunlichste Teil der Vorgänge: Die Bewohnerinnen des übernommenen Nestes haben sich nicht nur nicht gegen die feindliche Übernahme gewehrt und sich manchmal sogar am Königinnenmord beteiligt, sie pflegen auch von Beginn an in ihrem Ameisennest als sogenannte Sklaven problemlos die fremde Brut.“
Der Bau so eines Ameisennestes erfordert den Transport atemberaubender Mengen an Material. „Allzweckwerkzeug am Bau sind die Mandibeln, die beiden großen Kiefer im ansonsten komplizierten Mundwerkapparat der Ameisen. Mit ihnen packen die Tiere die Bauteile und bringen sie hoch erhoben zum Bauplatz. Dabei leisten die Arbeiterinnen Erstaunliches: Eine zehn Milligramm leichte Waldameise kann das Zehnfache ihres Körpergewichtes frei in den Mandibeln tragen und das Neunzehnfache über einen glatten Untergrund ziehen. Zum Vergleich: Ein 80 Kilogramm schwerer Mensch müsste, um Gleiches zu leisten, ein Gewicht von nahezu einer Tonne, also in etwa einen Kleinwagen, über seinen Kopf heben – ein Ding der Unmöglichkeit.“
Infos und Buchtipp
Ingo Arndt (Fotografie), Prof. Dr. Jürgen Tautz (Texte):Waldameisen. Superheldinnen auf sechs Beinen, Knesebeck-Verlag, 40 €
Tierfotograf: ingoarndt.com