Gleich mehrere Senioren hatte Altenpfleger Peter S. (37) bestohlen. Im Juni 2018 musste er vor Gericht – und kassierte dort eine kräftige Watschn. „Was Sie getan haben, ist eine Riesen-Sauerei“, schimpfte Richter Gilbert Wolf – und schickte S. für drei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis.
Ein hartes Urteil für einen Dieb, doch das ist in München keine Seltenheit, wie jetzt auch eine Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg belegt. Dort hatte Forscher Volker Grundies insgesamt 1,5 Millionen Urteile aus den Jahren 2004, 2007 und 2010 untersucht und kam zu dem Ergebnis: Nirgendwo in der Republik werden so harte Urteile gesprochen wie in München. Laut der Studie sind die Strafen 24 Prozent höher als der bundesdeutsche Durchschnitt – und zwar quer durch alle Deliktarten.
800 deutsche Gerichte hat Forscher Grundies verglichen. In München werden laut Studie Strafen verhängt, die im Schnitt 3,9 Monate länger dauern als anderswo. Strafprozesse in München müssen Verbrecher also besonders fürchten: Diebe wie Peter S. erhalten im Schnitt 20 Prozent längere Haftstrafen. Besonders Gewaltverbrechen werden hart geahndet: Im Schnitt kassieren die Münchner Täter Strafen, die um 23 Prozent länger sind. Ähnlich streng werden Verkehrsdelikte geahndet – 21 Prozent länger als der Durchschnitt.
Neben Oberbayern gibt es auch in Südhessen sehr harte Urteile. Eher milde Strafen gibt es in Baden und Schleswig-Holstein. Laut der Studie sitzen die nettesten Richter in Freiburg im Breisgau. Interessant auch: Im Süden gewähren die Gerichte besonders Räubern seltener Bewährungsstrafen als im Norden.
Dass die bayerische Justiz die härteste ist, wurde schon oft behauptet. Die kriminologische Studie liefert nun aber den Beweis. Doch wie kommt es im Vergleich zu so großen Unterschieden? Forscher Grundies glaubt: „Die Richter kennen vor allem Urteile aus ihrer Umgebung.“ Über Jahrzehnte sei eine „Vererbung regionaler Traditionen“ bei der Strafzumessung eingetreten. Zudem spiele auch die jeweilige Landespolitik eine Rolle, ebenso wie Karriere-Aspekte der Richter: Wer befördert werden will, entscheide wie die Kollegen, vermutet Volker Grundies vom MPI.
„Wir sind besonders gründlich, das hat eine längere Tradition“, sagte Hans-Joachim Heßler im Mai gegenüber unserer Zeitung, damals noch als Präsident des Landgerichts München I, wo laut Studie die härtesten Richter sitzen. Im Freistaat würden zum Beispiel Betäubungsmitteldelikte „härter bestraft“, so Heßler, mittlerweile Präsident des Obersten Bayerischen Landesgerichts. Bis zu fünf Jahre müssen etwa Drogenhändler ins Gefängnis, wenn sie ein Springmesser in ihrer Wohnung hatten – weil dies als bewaffneter Raubüberfall bewertet werden kann. „Wir beachten hier natürlich auch den Aspekt der öffentlichen Sicherheit.“
Große Verantwortung spürt Michael Höhne bei seinen Urteilen. 20 Mörder und Totschläger hat der Vorsitzende des Schwurgerichts seit 2010 verurteilt. Freisprüche waren selten. „Vor dem Urteil überlegen wir lange, ob wir nicht ein Detail vergessen haben. Und nur, wenn wir wirklich sicher sind, es gibt nicht den Hauch eines Zweifels, kommen wir überhaupt zu einer Verurteilung – noch ganz unabhängig von der Strafhöhe.“