Teure Rettung der Eisenbahner

Eine Wohnung zu kaufen ist in München schier unerschwinglich. Genossenschaften können ein gangbarer Weg sein. Die Einlage, die man am Anfang bezahlen muss, beträgt in der Regel über 1000 Euro, dafür liegen die Mieten später oft zwischen acht und zwölf Euro warm. Zwar haben die meisten der 50 Wohnungsgenossenschaften in München Aufnahmestopp, doch in letzter Zeit gründen sich neue, um ein solidarisches Wohnmodell wiederzubeleben.

VON SUSANNE SASSE

Günstige Mietpreise und astronomisch hohe Bodenpreise – das geht schwer zusammen. Welche konkreten Folgen diese Kombination hat, hat man zuletzt bei der 1908 gegründeten Baugenossenschaft München-West des Eisenbahnpersonals in Neuhausen gesehen. Ihre Erbpachtverträge laufen im Jahr 2030 aus. Die Genossen hätten den Grund verloren – und in der Folge ausziehen müssen! Ein Gutachter schätzte den Wert des Areals auf 128 Millionen Euro. Zu teuer, befanden die Genossenschaftsmitglieder – zunächst jedenfalls.

Nun hat die Genossenschaft aber ein Darlehen von 100 Millionen Euro aufgenommen. Damit kann sie drei der vier Gebäude kaufen, in denen ihre Mitglieder leben, insgesamt 470 Wohnungen. Nur für ein Gebäude, das an der Schluderstraße/Schlörstraße/Sedlmayrstraße, reichte das Geld nicht. Was mit diesen 278 Wohnungen passiert, ist noch offen. Das Problem: Macht die Genossenschaft ihr Vorkaufsrecht nicht geltend, dann wird das Grundstück zum Höchstpreis verkauft.

Was da in Neuhausen passiert, ist kein Einzelfall. Rund 3000 Wohnungen von sieben Eisenbahnergenossenschaften in München sind ganz aktuell bedroht, bundesweit sind es zehntausende, denn demnächst laufen viele Erbpachtverträge aus. Der Grund, auf dem die Genossenschaftswohnungen stehen, gehört den Bund beziehungsweise dem Bundesverkehrsministerium. Verwaltet wird er vom Bundeseisenbahnvermögen. Und dessen Auftrag – so bitter das für die Bewohner auch ist – lautet, den Grund zum besten Preis zu verwerten, wenn die Erbpacht ausläuft. Damit gilt also das Höchstpreisgebot.

In Neuhausen ist die Genossenschaft nun zwar gerettet, dafür aber hoch verschuldet. Die Zeit der niedrigen Mieten sei vorbei, sagt Genossenschafts-Chef Roland Beck (64). „Manche Altmieter zahlen noch acht Euro pro Quadratmeter, Neuverträge schließen wir zu Preisen von 16 Euro ab. Das geht nicht anders, auch wenn sich dann untere und mittlere Einkommensschichten die Mieten bei uns nicht mehr leisten können“, sagt Beck, der selbst in einer Wohnung der Genossenschaft aufgewachsen ist. „Die Politik hat uns allein gelassen, wir haben noch zu 7000 Euro pro Quadratmeter gekauft, jetzt liegt der Preis schon bei 9000 Euro“, sagt er. Viele Genossenschaftsmitglieder sind unzufrieden. „Die Mieten werden rasant steigen, denn pro Mitglied müssen ja nun hunderttausende Euro Schulden abbezahlt werden. Das wird unsere Gemeinschaft kaputtmachen“, sagt ein Bewohner, der anonym bleiben will. Er hat Angst, dass seine Kritik als „genossenschaftsschädliches Verhalten“ ausgelegt wird und er die Wohnung verliert. Noch kann er sie sich leisten – momentan zahlt er zwölf Euro warm.

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Montag, 4. Dezember 2023
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