Corona macht mehr Münchner arm

VON ANDREAS BEEZ

„Wir gehen von einem Corona-Effekt aus“, bestätigte der Sprecher des Jobcenters München, Frank Donner, am Sonntag auf Anfrage unserer Zeitung. Doch damit dürfte der traurige Höhepunkt der wirtschaftlichen Corona-Folgen noch längst nicht erreicht sein.

Experten befürchten, dass die Kettenreaktion aus Umsatzeinbußen der Firmen und Kündigungen im nächsten Jahr noch stärker durchschlagen könnte. Dazu kommt die Sorge vor einer weiteren Verschärfung bzw. Verlängerung der Schutzmaßnahmen (Lockdown). „In unseren Geschäftsstellen suchen immer mehr verzweifelte Münchner Rat“, berichtet VdK-Landeschefin Ulrike Mascher. In einem Interview mit unserer Zeitung fordert sie unter anderem einen Corona-Aufschlag von 100 Euro monatlich für alle Hartz-IV-Empfänger.

Zum Hintergrund: Während der Volksmund von Hartz IV spricht, bezeichnen die Behörden die Hilfe als Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung (siehe Kasten). Sie setzt sich im Wesentlichen aus zwei Leistungen zusammen: dem Regelsatz von derzeit 432 Euro für Alleinstehende sowie der Kostenübernahme für Miete und Heizung. Zudem werden mitunter weitere Zuschüsse bezahlt. In München stockt die Stadtverwaltung den Regelsatz freiwillig um 21 Euro monatlich auf.

Trotzdem reicht vielen Hartz-IV-Empfängern im teuren München das Geld hinten und vorne nicht. Corona habe ihre Not zusätzlich vergrößert, sagt VdK-Chefin Mascher: „Viele sind durch Erkrankungen belastet und zählen zur Covid-19-Risikogruppe. Der Mehrbedarf, vor allem durch Einschränkungen bei Lebensmitteltafeln und dem notwendigen Kauf von Masken und anderen Hilfsmitteln, kann keinesfalls vom Regelsatz gedeckt werden.“

Mit welcher Wucht das Virus die Münchner auch wirtschaftlich trifft, kristallisiert sich an den Statistiken des Jobcenters heraus. „Im Januar und Februar hatten wir gegenüber dem Vorjahr noch einen Tiefststand bei den Leistungsbeziehern verzeichnet“, erläutert Sprecher Donner, „doch dann kam Corona und hat einen rasanten Anstieg der Zahlen verursacht.“ Zu den neuen Hartz-IV-Empfängern in München zählen nach Erkenntnissen des Jobcenters verstärkt Menschen aus folgenden Berufsgruppen: Selbstständige, darunter Fotografen, Künstler, Grafiker, und Taxifahrer. Kurzarbeiter, deren reduzierter Lohn nicht mehr zum Leben ausreicht. Und Geringverdiener bzw. Menschen ohne berufliche Qualifizierung, die eben nicht im Homeoffice arbeiten können, etwa Reinigungskräfte, Küchenpersonal, Hotelmitarbeiter und Beschäftigte im Einzelhandel. Sie gehören oft zu jenen Mitarbeitern, die noch nicht lange in ihrer Firma beschäftigt und als erste von Corona-bedingten Kündigungen betroffen sind.

Dass immer mehr Erwerbstätige Hartz IV brauchen, war nach Einschätzung von VdK-Chefin Mascher absehbar: „In München ist für viele Bürgerinnen und Bürger das Leben ohnehin auf Kante genäht. Die finanziellen Einbußen durch Corona bringen viele Familien schwer ins Schleudern. Selbst mit einem ordentlichen Verdienst frisst allein die Miete bei vielen Menschen oft mehr als die Hälfte des Einkommens. Jetzt führen Kurzarbeit, Verlust des Minijobs oder der Selbstständigentätigkeit zu erheblichen Einbrüchen. Da knicken viele ein, die sich vorher noch von Monat zu Monat retten konnten.“

Umso mehr hofft Mascher, dass die Stadt München an ihrer freiwilligen Aufstockung des Hartz-IV-Satzes festhält. Für kommendes Jahr ist dies bereits in trockenen Tüchern, der Zuschuss wird sogar von 21 auf 22 Euro angehoben. Aber was geschieht, wenn dem Kämmerer irgendwann wegen der Corona-Folgen das Geld ausgeht? „Ich möchte die Stadt München ausdrücklich darin bestärken, die Erhöhung des Regelsatzes auch angesichts der durch die Corona-Pandemie sicher sinkenden Einnahmen nicht infrage zu stellen“, betont Mascher. „Die Lebenshaltungskosten werden in München auf absehbare Zeit nicht sinken, deswegen ist diese Stütze so wichtig.“

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Montag, 4. Dezember 2023
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