Über den Abriss des Uhrmacherhäusls in Giesing wird schon länger vor Gericht gestritten. Das Haus, Teil eines denkmalgeschützten Ensembles, sollte im Jahr 2017 am Dach saniert werden. Aber überraschenderweise rückte dann ein Abrissbagger zur Dachsanierung an. Und plötzlich klaffte eine Baulücke an der Oberen Grasstraße, die sich prima füllen ließe mit einem Bauprojekt, das zwar nicht ganz ins geschützte Ensemble passen – aber dem Investor fette Gewinne bringen würde. Und was, fragt sich der Investor, gibt es Schöneres als Geld? Die Stadt aber, nicht dumm, erließ einen Bescheid. Der Besitzer solle das Uhrmacherhäusl wieder aufbauen, originalgetreu und unter Verwendung der alten Materialien. Ein vernünftiger Investor zieht da natürlich vor Gericht. Und nachts, aber das ist jetzt nur eine Vermutung, liegt er wach und denkt sich: „Hätte ich doch nur in Corona-Masken investiert!“
Es ist also ein Urmünchner Prozess, der seit 2019 von Instanz zu Instanz wandert. München gegen München. Das alte, gemütliche München gegen rücksichtslose Münchner Profitgier. Letzte Woche gab es eine Berufungsverhandlung am Verwaltungsgerichtshof. Und der Anwalt des Baulücken-Besitzers, so war zu lesen, brachte sagenhafte Argumente vor. Zum Beispiel: Ein leeres Grundstück sei nicht mehr Teil des Ensembles. Ja, bravo! Wenn ich alle Erdbeeren von einem Erdbeerkuchen nasche und dann behaupte, das sei kein Erdbeerkuchen, weil keine Erdbeeren drauf seien – hab ich dann recht?
Besonders dreist fand ich folgende Überlegung des Anwalts: Wenn der Besitzer das Uhrmacherhäusl wieder aufbaue, dann sei der Neubau nicht denkmalgeschützt und könne sofort nach Fertigstellung wieder abgerissen werden. Ein Haus bauen, nur um es wieder einzureißen – solche Gedankengänge gibt es, glaube ich, in nicht vielen Städten der Welt. Und genau dafür schäme ich mich als Münchner.
Sollte es wirklich dazu kommen, dann wüsste ich eine Reaktion, die eher dem gemütlichen Teil unserer Stadt entspricht: Man wartet einfach ab, bis der Investor sein neues, größeres Haus in die Baulücke des Uhrmacherhäusls gesetzt hat. Und dann kauft man ihm das Gebäude ab, reißt es ein – und baut zum dritten Mal das Uhrmacherhäusl. Das wäre zwar teuer, aber zumindest ein moralischer Sieg!
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