München – Umringt von Grabsteinen steht Andreas Jüngling im Garten, die Zigarette in seiner Hand qualmt, leichter Regen tropft auf die Grabmäler, unterstreicht ihren traurigen Sinn. Die Szene erinnert mehr an einen Friedhof als an einen Gewerbebetrieb. Seit 40 Jahren ist Jüngling schon in dem Handwerk. Steinmetz, das sei schon „ein ganz spezieller Schlag von Mensch“, sagt der 59-Jährige und lacht. Jüngling liebt Steine – das harte, unnachgiebige. „Da muss man sich durchkämpfen, auch wenn man sich das fünfte Mal an dem Stein schneidet.“
Sein Arbeitsplatz ist gleich neben dem Münchner Westfriedhof. Beim Steininger Steinmetz ist er für die Grabsteine verantwortlich. Wer keinen Grabstein braucht, findet hier auch Waschbecken oder Küchen – natürlich aus Stein. Die Werkstatt ist riesig, die Luft staubig. An den Wänden hängen Skulpturen, die einst Grabsteine zierten. „Inspiration für unsere Arbeit“, erklärt Jüngling, „Besondere Figuren restaurieren wir auch“, sagt er und betrachtet fast andächtig die Maria-Statuen und die kindlichen Engelsköpfe.
Die Ästhetik von Grabsteinen passt sich der Zeit an. „Die Stile mischen sich, von schick bis kitschig ist alles dabei.“ Die meisten neuen Grabsteine zeigen keinen pompösen Engelstatuen mehr. Sie sind kantig und schlicht. Die Menschen geben heute weniger Geld aus, sagt Jüngling. „Die Friedhofskultur hat keinen so großen Stellenwert mehr. Die Leute tun es nur noch, um einen Ort zum Trauern zu haben.“ Die Veränderung, findet Jüngling, ist ein Spiegel der Gesellschaft. Weltliche Symbole lösen religiöse ab: Rosen statt Kreuze, Lebensbäume statt Christusmonogramme. „Manchmal bringen mir Kunden Fotos mit von Landschaften, die die Verstobenen besonders gerne besucht haben. Die meißeln wir dann vereinfacht in den Stein.“
Auch die Beschriftung wird simpler, nur Name, Geburts- und Todesdatum. Darunter vielleicht noch ein Zitat des Verstorbenen oder eines beliebten Schriftstellers. „Solange es den gängigen Sitten entspricht, können wir alles draufschreiben“, sagt Jüngling. „Nur einen Spruch benutze ich nicht mehr: Geliebt und nie vergessen.“ Den Spruch findet er zu unpersönlich – vor allem, wenn er an Gräbern, steht, die offensichtlich seit Jahren nicht gepflegt wurden.
Umso persönlicher sind neue Trends: Angehörige lassen Bilder am Grabstein anbringen. „Manchmal sogar QR-Codes, mit denen man sich eine Fotogalerie oder die Lebensgeschichte des Verstorbenen anschauen kann.“ Jüngling schnaubt. Er hält nichts von der Veröffentlichung so privater Dinge. Anders sei es, wenn jemand sich seinen Grabstein selbst aussucht, um zu entscheiden, wie die Ruhestätte aussehen soll. Oft seien es ältere Menschen ohne Angehörige, die sich darum kümmern könnten, erzählt der Steinmetz. Und manchmal Menschen, die vom Arzt eine endgültige Diagnose bekommen haben.
Jüngling befasst sich tagtäglich mit dem Tod. „Man muss lernen die Kunst und den damit verbundenen Sinn zu trennen“, meint er. Gräber sind keineswegs für die Ewigkeit. Viele werden irgendwann wieder aufgelöst. Historisch wertvolle oder besonders schöne Grabsteine versucht Jüngling zu bewahren, wieder zu verwenden. „Bei manchen Steinen bekommen wir es nicht übers Herz, sie wegzugeben.“ Andere Steine werden entsorgt, zu Kies verarbeitet oder im Ganzen wiederverwendet. Etwa bei der Renaturierung der Isar, hier wurden Grabsteine zum Fundament für Sitzgelegenheiten wie Steintreppen. „Die jungen Leute feiern an der Isar – und haben keine Ahnung, dass sie gerade auf Grabsteinen tanzen“, sagt Jüngling, lacht trocken und zieht kräftig an seiner Zigarette.
Was sich nicht groß verändert hat, sind die Materialien. Kalkstein und Granit dominieren. „Für besondere Materialien fahre ich nach Kelheim zum Steinbruch raus“, erzählt Jüngling. Sonst holt er den Stein blockweise aus einem Steinbruch am Gardasee. Der bayrische Auerkalk ist sein liebstes Material: „Er kommt aus der Region, das ist doch schön. Außerdem schaut er gut aus, durch die Faserung lebt er irgendwie.“ Unter seinen aktuellen Kunstwerken hat der Steinmetz einen Favoriten. Es ist ein schlanker Stein aus Nagelfluh, die Beschaffenheit erinnert an einen Kiesstrand. Im Kontrast steht das eingearbeitete Glas, in dem sich das Sonnenlicht bricht. „Es imitiert die fließende Isar. Einen der schönsten Orte, die es gibt.“
Den Stein holt er aus Kelheim, oft auch vom Gardasee