SPD und Union

Das erste Vertrauen ist vernichtet

von Redaktion

Von Maximilian Heim

München – Not macht erfinderisch, das zeigt eine kühne Wortmeldung aus der SPD am Montagmorgen. Matthias Miersch, Sprecher der parlamentarischen Linken, schlägt vor: Seine Partei könne doch eine Art Mittelding zwischen Großer Koalition und dem Tolerieren einer Minderheitsregierung anstreben. Regieren in Teilzeit, sozusagen.

Besonders wahrscheinlich ist das nicht. Aber der Vorschlag zeigt, wie sehr das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen die Sozialdemokraten verwirbelt hat. Vor einer Woche noch hat Parteichef Martin Schulz erklärt: keine Große Koalition, lieber Neuwahlen. Seitdem hört Schulz so viele Signale, dass ihm die Ohren klingen dürften. Ein Teil seiner Partei (eher die höheren Etagen) ist für Koalitionsgespräche. Ein anderer Teil (eher die Basis) ist für das Tolerieren einer Minderheitsregierung. Dazu kommen Kleingruppen mit den Losungen „Kenia-Koalition!“ oder – immer noch – „Neuwahlen!“.

Am Montagmittag steht Schulz im Willy-Brandt-Haus. Pressekonferenz nach einer Sitzung des Parteivorstands. Der SPD-Chef bestätigt, was alle wissen – er wird am Donnerstag mit CDU-Chefin Merkel und CSU-Chef Seehofer beim Bundespräsidenten sprechen. Es folgt die Aneinanderreihung von Politikerfloskeln, hier eine gewissenhafte Auswahl: „keine einfache Situation“, „unser Programm gilt“, „keine Option ist vom Tisch“.

Schulz’ endgültige Abkehr von sofortigen Neuwahlen kommt keineswegs überraschend. Seit Tagen rumort es in der SPD, besonders die frisch gewählten Bundestagsabgeordneten hielten die kategorische GroKo-Absage von Anfang an für falsch. Dazu kam der enorme Druck durch Staatsoberhaupt Steinmeier.

Die Debatte um die weitere Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat kommt da zur Unzeit. Die SPD fühlt sich von der Union übergangen. Noch bevor Gespräche über eine neue GroKo aufgenommen werden, eskaliert die Stimmung. Nach mehrfachen Enthaltungen votierte Deutschland auf Geheiß des CSU-geführten Agrarministeriums für eine weitere EU-Zulassung des umstrittenen Mittels – gegen den Willen der SPD. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles nennt das Votum einen „schweren Vertrauensbruch“. Die geschäftsführende Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ergänzt: „Jeder, der an Vertrauensbildung zwischen Gesprächspartnern interessiert ist, kann sich so nicht verhalten.“

Schon am Wochenende stellte die SPD auch bei anderen Themen klare Bedingungen. Rentenreform, Bürgerversicherung, Steuerentlastung, Soli weg. Aber auch der 100-Prozent-Parteichef weiß: Seine auf 20,5 Prozent geschrumpfte Partei lechzt nicht nach dem nächsten Wahlkampf. Ob er sich ärgere über seine Neuwahl-Äußerung von vor einer Woche? „Wir sind alle von den Ereignissen überrascht worden“, sagt Schulz. Und fügt hinzu: „Deshalb entwickeln sich die Dinge dann auch.“

Wie es weiter geht, ist nun offen. Nach den Gesprächen mit Merkel und Seehofer in Bellevue trifft sich am Freitag das SPD-Präsidium zur Nachbesprechung. Schulz rechnet mit weiteren Treffen mit der Union, zu denen er Fraktionschefin Andrea Nahles mitnehmen möchte. Und am 7. Dezember stellt er sich beim Parteitag erneut der Wahl zum SPD-Chef. „Ich gehe davon aus, dass ich mit breiter Mehrheit gewählt werde“, sagt er.

Das ist eine bemerkenswerte Ansage für einen Mann, der sein Wahlziel (Kanzler werden) verfehlt hat. Noch immer hat Schulz Rückhalt in der Partei, auch bei den Jusos, die eine erneute Große Koalition ablehnen. Dem Parteinachwuchs hat Schulz am Freitag beim Bundeskongress in nihilistischer Höchstform erzählt: „Ich strebe keine Große Koalition an. Ich strebe auch keine Minderheitsregierung an. Ich strebe auch kein Kenia an. Ich strebe auch keine Neuwahlen an. Ich strebe gar nix an.“

Was er anstrebe, hat der Parteichef dann noch erklärt, seien Wege, um das Leben der Menschen besser zu machen. Das lässt sich wunderbar in alle Richtungen deuten.

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