Berlin – Es werde, haben die Berliner Zeitungen geschrieben, ein Weihnachtsmarkt „zwischen Glühwein und Maschinenpistolen“. Das mit den heißen Getränken stimmt (wenn man davon absieht, dass in Berlin eher Eierpunsch und Feuerzangenbowle angesagt sind), das mit der Bewaffnung ist zumindest nicht auffällig. Ein paar Polizei-Duos schlendern über den Breitscheidplatz, auf ihren Jacken steht „Kommunikationsteam“. Die Beamten sind fröhlich und freundlich, einem läuft das Regenwasser über die Brillengläser.
Der Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, der am 19. Dezember 2016 Ziel des Lastwangen-Anschlags des islamistischen Terroristen Anis Amri war, ist am Montagabend eröffnet worden. Nicht draußen, wo die Trauernden eine kleine Gedenkstätte errichtet haben, rund um ein Schild, auf dem einfach nur „Warum?“ steht. Warum mussten zwölf Menschen sterben, warum wurden über 70 verletzt? Sie wollten einfach nur feiern, leben, unbeschwert und besinnlich sein.
Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin, eröffnet den Markt, den 34., im warmen Zelt, in der „Hirschstube“, die sehr beliebt ist und in der man einen Platz nur mit Reservierung bekommt. „So unbeschwert und unbefangen werden wir nicht mehr sein“, sagt er, „der 19. Dezember hat sich ins kollektive Gedächtnis unserer Stadt eingebrannt“. Doch es wird nicht aufgegeben, „wir zeigen guten Trotz“. Der Weihnachtsmarkt findet seine Fortsetzung. „Das war keine Selbstverständlichkeit“, meint Reinhard Naumann, der Bezirksbürgermeister von Charlottenburg. Da müsse er vor allem dem Schaustellerverband danken. Alle Buden besitzer hätten gesagt, sie würden wiederkommen. Sie müssen es auch. „Von dem Geschäft hier zehren wir den ganzen Winter“, sagt Martin Blume, dessen „Blumes kleine Glühwein-Butze“ der Attentäter Amri von der Budapester Straße aus in den Markt gedonnert ist.
Michael Müller brachte die frische Zusage mit, dass der Senat 100 000 Euro bewilligt habe, damit der Schaustellerverband den Sicherheitsmehraufwand leisten kann. Um das Gelände am alten Westberliner Wahrzeichen, der Gedächtniskirche nahe am Kudamm, sind Betonelemente platziert worden. Ob sie einen Lkw stoppen würden, wenn wieder einer käme? Oder kann ein Markt nicht auch auf andere Weise gefährdet werden? Jeder kann dort spazieren, es gibt keine Einlasskontrollen, der Markt ist offen.
So weltoffen wie „Original Rühmanns Feuerzangenbowle“, betrieben von Alex Kaiser, einem Mann mit Fliege, der „auch für die Kollegen“ spricht. Bei ihm ist um 18 Uhr schon gut voll, es wird geraucht (Berlin ist nicht Bayern), ein paar Travestiekünstler unterhalten sich, auf der kleinen Bühne steht gerade die Schauspielerin Kati Karrenbauer („Hinter Gittern“), „eine Freundin des Hauses“. Zusammen mit Alex Kaiser engagiert sie sich für die 8000 Berliner Obdachlosen. Wer bei Kaiser was für die Menschen ohne Unterkunft vorbeibringt, bekommt eine Bowle. Kaiser hat vor einem Jahr seine Partyhütte spontan zur Erstversorgung für die Verletzten zur Verfügung gestellt, „das lief ab wie im Film, man hat eine Rolle gespielt“.
Der Markt am Breitscheidplatz ist eher ein Rummel mit Darts-Bude und Verpflegungsstand, bei dem VIP „Very Important Pommes“ bedeutet, die Musik, die über dem Platz schwebt, ist von Elton John. Doch am 19. Dezember wird es still werden, dann schließt der Markt für einen Tag. „Am Vormittag werden die Angehörigen der Opfer hierherkommen“, sagt Bürgermeister Michael Müller, „ohne große Öffentlichkeit“. Am Jahrestag wird Berlin trauern. Günter Klein