München – Es sind die Wochen der aufmüpfigen Jugendverbände. Kevin Kühnert, eigentlich auch als Juso-Chef noch neu im Geschäft, treibt die SPD seit Tagen vor sich her. Der bayerische Ableger der Jungen Union signalisierte Horst Seehofer wenig charmant, dass er jetzt mal den Schreibtisch in der Staatskanzlei räumen könnte. Der Jungen Union in Berlin fehlt ein solch revolutionäres Gen völlig – aber selbst sie lässt sich inzwischen zu Unmutsäußerungen hinreißen. „Die Unzufriedenheit ist sehr groß an der Basis der Union“, stellt JU-Chef Paul Ziemiak am Freitag im „Deutschlandfunk“ fest. „Das waren keine guten Tage, und es brodelt eigentlich an allen Stellen.“
Ja, es brodelt in der CDU. In einer Partei, die sich eigentlich schon komplett der Führung Angela Merkels unterworfen hatte. Für konservative Widerborstigkeit in der Union war die CSU zuständig. War ja auch ganz praktisch: Man konnte sich gleichzeitig über die nervigen Bayern ärgern, trotzdem trat jemand Merkel auf die Füße, ohne dass man selbst Ärger bekam. Jetzt scheint aber auch in der CDU ein Punkt erreicht, an dem die Probleme offen angesprochen werden müssen. Beobachter rechnen mit turbulenten Wochen. „Ich gehe davon aus, dass die zum Teil sehr unterschiedliche Bewertung innerhalb der CDU über die starke Gewichtung der SPD in der künftigen Bundesregierung und ihre Auswirkungen auf die Volkspartei CDU spätestens auf dem Parteitag am 26. Februar beigelegt wird“, sagt Edmund Stoiber. Ein unscheinbarer Satz, in den man einiges hineininterpretieren kann.
Denn so unterschiedlich sind die Einschätzungen in der CDU gar nicht. Allenthalben wird der Verlust des Finanzministeriums als Fehler gewertet. Neu ist, dass sich inzwischen auch die Merkel-Gegner aus der Deckung wagen, die sich, wie bei jedem Spitzenpolitiker, im Laufe der Regierungsjahre angesammelt haben. „Die CDU ist damit innerhalb des Regierungsapparats strukturell geschwächt und verliert an Einfluss“, sagt der Außenpolitiker Norbert Röttgen. Und besonders deutlich wird der einst von Merkel als Fraktionschef abgesägte Friedrich Merz: „Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben.“ Da sich der Jurist, von dessen Rückkehr in Unionskreisen immer wieder geträumt wird, für seine Attacke die „Bild“-Zeitung aussuchte, war eine dicke Schlagzeile garantiert.
Das Brodeln beschränkt sich übrigens nicht nur auf die CDU. Auch in der CSU, die mit der Übernahme des Innenressorts und vielen Inhalten des Koalitionsvertrags eigentlich sehr zufrieden ist, gibt es weiter Unmut. „Der Koalitionsvertrag enthält große Pakete der Umverteilung“, sagt der ehemalige Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, heute Chef des Wirtschaftsbeirats Bayern. „Von der Erwirtschaftung des Bruttoinlandsprodukts ist weniger die Rede.“ Auch der ehemalige CSU-Chef Erwin Huber findet klare Worte. „Der Verlust des Finanzministeriums schadet massiv der Wirtschaftskompetenz der Union. Merkel führt die Sozialdemokratisierung der Union weiter. Dafür wollen wir als CSU keinen Preis bezahlen.“
Vieles wird nun von der Ministerliste der Kanzlerin abhängen. Bislang kursieren Namen, Zukunftshoffnungen wie Annegret Kramp-Karrenbauer oder Jens Spahn fehlen. Merkel soll intern betont haben, dass noch nichts entschieden sei. Ähnliches hört man aus der CSU. Trotzdem ist der Druck gewaltig – aus dem Osten, der beim bisher gehandelten Tableau völlig leer ausginge. Und auch von den Jungen wächst langsam der Druck. „Es braucht einen Aufbruch, einen echten Markenkern, damit die Union in Zukunft wieder über 40 Prozent bei Bundestagswahlen erreicht“, sagt Paul Ziemiak. „Von einem solchen Aufbruch ist im Moment zu wenig zu sehen.“ Vieles hänge deshalb von den anstehenden Personalfragen ab. „Wir brauchen auf Minister- und Staatssekretärsebene eine personelle Erneuerung.“
Inzwischen geschieht sogar Ungeheuerliches: Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk spricht offen über ein Ende der Ära Merkel an der CDU-Spitze: „Sie sollte die Zeichen der Zeit erkennen und einen Übergang in dieser Legislaturperiode schaffen.“ Nach über 15 Jahren gebe es „gewisse mediale Abnutzungserscheinungen“. Der Wechsel solle „möglichst ohne Schmerzen“ ablaufen.