Luxemburg – Die EU bietet Großbritannien zwar ein Freihandelsabkommen nach dem Brexit an, schließt aber einen Sonderstatus des Landes aus. Die EU wolle „keine Mauer“ zu Großbritannien errichten, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk gestern in Luxemburg. Er stellte dort den Entwurf von „Leitlinien“ für die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen vor. Sie stellen klar, dass die EU „kein Rosinenpicken“ Großbritanniens in bestimmten Wirtschaftsbereichen zulassen wird.
Die britische Premierministerin Theresa May will nach dem Brexit im März 2019 und einer etwa zweijährigen Übergangsphase aus dem EU-Binnenmarkt austreten. Sie möchte stattdessen ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU abschließen. Es soll demnach weiter gehen als „jedes Freihandelsabkommen, das es derzeit irgendwo auf der Welt gibt“. Die Zollunion will Großbritannien verlassen, um eigene Handelsabkommen mit Drittländern schließen zu können. Trotzdem will May einen möglichst reibungslosen Handel und einen Erhalt von Liefer- und Produktionsketten über Grenzen hinweg. Die EU wirft ihr deshalb „Rosinenpicken“ vor.
Das Angebot an London geht nun durchaus über die Ausgangspositionen bei normalen Verhandlungen zu Freihandelsabkommen hinaus. Im Warenhandel mit Großbritannien solle es „null Zölle und keine zahlenmäßigen Beschränkungen“ in allen Bereichen geben, heißt es in dem Leitlinien-Entwurf. Tusk betonte, das Vereinigte Königreich solle nach dem Brexit „engster Nachbar“ der EU sein.
Zurückhaltender ist die EU im Bereich von Dienstleistungen, die für Großbritanniens großen Finanzsektor wichtig ist. Hier laute das Ziel „Marktzugang, um Dienstleistungen anzubieten unter Regeln des Gastgeberstaates“.
Tusk verwies gleichzeitig auf unvermeidliche negative Folgen. „Wegen des Brexits werden wir uns auseinander bewegen“, sagte er. Tatsächlich sei es das erste Freihandelsabkommen „der Geschichte, das wirtschaftliche Beziehungen lockert anstatt sie zu verstärken“. May hatte am Freitag erstmals offen negative Folgen des EU-Austritts eingeräumt. Um sie möglichst weitgehend zu vermeiden, will sie auch bei Staatshilfen, Wettbewerb, Arbeitnehmer- und Umweltrechten möglichst nahe an EU-Standards bleiben.
Auch im Leitlinien-Entwurf heißt es: Der von London angekündigte Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion werde „unvermeidlich zu Reibungen“ in den beiderseitigen Handelsbeziehungen führen. Dort heißt es auch klar, Großbritannien könne nach dem EU-Austritt nicht mehr dieselben Rechte haben wie Mitglieder der Union.
Wichtig für die EU ist laut Tusk ein Luftfahrtabkommen mit Großbritannien. Sonst drohten „absurde Konsequenzen“. Denn mit dem Brexit würden die Fluglinien beider Seiten keine Landerechte mehr haben. Pochen will die EU darüber hinaus auf den Zugang von EU-Fischerbooten zu britischen Gewässern.
Der britische Schatzkanzler Philip Hammond lehnte die Brüsseler Pläne umgehend ab: „Angesichts der Gestalt der britischen Wirtschaft und unserer Handelsbilanz mit den 27 EU-Ländern ist es schwer zu sehen, wie irgendein Abkommen, das Dienstleistungen nicht miteinbezieht, wie eine faire und ausgeglichene Vereinbarung aussehen könnte“, sagte er gestern in London.
Der Brüsseler Entwurf soll im März von den EU-Staats- und Regierungschefs vor dem Start von Verhandlungen über ein Handelsabkommen beschlossen werden. Die Gespräche darüber könnten im April beginnen. Offizielle Vereinbarungen können laut EU aber erst getroffen werden, wenn Großbritannien nach dem Austritt ein „Drittstaat“ ist. Die EU macht auch klar, dass sie für Ergebnisse in den Handelsgesprächen Fortschritte in anderen Bereichen zur Voraussetzung macht. Sie ruft London auf, „verstärkte Anstrengungen“ zu zeigen. Denn nichts sei „vereinbart, bis alles vereinbart ist.“