Berlin – Es ist ein Bild voller Symbolik: Als sich Angela Merkel am Dienstag um 15.07 Uhr in der Unionsfraktion an den Vorstandstisch setzt und ihre blaue Aktenmappe vor sich legt, bleibt der Platz rechts neben ihr leer. Dort sitzt normalerweise CSU-Chef Horst Seehofer. Ist es ein Zeichen für ein weiter fortschreitendes Zerwürfnis zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister um den Kurs in der Asylpolitik?
Es steht Spitz auf Knopf im erbitterten Streit zwischen den Vorsitzenden der Schwesterparteien über die Zurückweisung von Migranten an der deutschen Grenze, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben. Seehofer hat mit einem nationalen Alleingang gedroht, falls Merkel nicht bis zum Wochenende eine „wirkungsadäquate“ Lösung auf europäischer Ebene erreichen kann.
Am Sonntag kommen die Spitzengremien von CDU und CSU in getrennten Sitzungen zusammen, um die Ergebnisse von Merkels Ringen beim EU-Gipfel um eine europäische Lösung des Konflikts zu bewerten. Dann könnte es zum Bruch kommen – wenn der CSU nicht ausreicht, was die Kanzlerin präsentieren kann. Die Koalition könnte platzen, die 70 Jahre währende Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU auch – entweder sofort oder erst dann, wenn Seehofer die ersten Migranten zurückweisen lässt und Merkel ihren Minister aus dem Kabinett werfen sollte. Und nun fehlt der Innenminister gerade bei jener Fraktionssitzung, in der Merkel über den Stand ihrer Verhandlungen berichtet. Seehofer bereite sich auf das Spitzentreffen der Partei- und Fraktionschefs am Abend im Kanzleramt vor, heißt es. Auch so lassen sich Prioritäten deutlich machen.
Lässt sich der Bruch der schwarzen Schwestern abwenden? Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rät zu Deeskalation. Man solle nicht „auf höchster Ebene und selbst im Regierungslager mit Unnachsichtigkeit und maßloser Härte über eigentlich doch lösbare Probleme“ streiten. Auf den letzten Metern sieht es so aus, als würden beide Seiten verbal abrüsten. Seehofer erklärt Politiker und Journalisten, die glaubten, die Koalition fliege demnächst auseinander, bei „Focus Online“ sogar für „weltfremd“. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) beschwört geradezu die Unionsehe im Parlament. Merkel erklärt der Fraktion laut Ohrenzeugen unter Beifall, sie halte die Unionsparteien für eine „Schicksalsgemeinschaft“, die „unsere Stärke verdeutlicht hat und auch in Zukunft verdeutlichen wird“. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, für seine harte Haltung bekannt, nimmt das Wort „Schicksalsgemeinschaft“ in den Mund.
Aber Dobrindt macht auch klar: Mehr Zeit will die CSU der Kanzlerin für ihren europäischen Lösungsansatz auch nicht einräumen. „Es kann nicht eine reine Absichtserklärung auf die Zukunft sein“ – Merkel müsse schon sehr konkret werden, wenn sie ihre Verhandlungsergebnisse am Wochenende präsentiere. Entscheidungen dürften nicht wieder auf die lange Bank geschoben werden – gerade weil es darum gehe, den „erklärten politischen Gegner“, die Rechtspopulisten von der AfD, zu bekämpfen. „Wie lange glaubt man, dass man einen Bundesinnenminister davon abhalten kann, dass er gültiges Recht an der Grenze wieder umsetzt. Das ist seine Aufgabe“, fragt Dobrindt eher rhetorisch. Das klingt nun nicht gerade versöhnlich.
Parallel dazu läuft in München eine eher kuriose Sitzung des Landtags: Mit den Stimmen der CSU beschließt das Parlament, Seehofers Masterplan zur Migration grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings kennt kein einziger der Abgeordneten den bisher geheimen Gesamtplan.
In der Union geht es zurzeit wohl auch darum, am Ende nicht den „Schwarzen Peter“ in der Hand zu halten, sollte Merkel und die Koalition die aktuelle Krise politisch doch nicht überstehen. In der Union gilt als eherne Regel: Die Parteianhänger lieben keinen Streit – und den „Königsmörder“ erst recht nicht.