Angezählt und angegriffen: Berlin schaut auf Seehofer

von Redaktion

Nach dem Asylkompromiss gibt es in der CSU Diskussionen über Stil und Inhalt – „Das hat uns massiv geschadet“

Berlin – Horst Seehofer wirkt abwesend. Er bewegt sich wie unter Wasser. Es ist der Tag nach der Einigung der Koalition im Asylstreit, den der CSU-Vorsitzende selbst angezettelt hat. Der Zentralrat der Juden ist im Bundesinnenministerium, um einen Vertrag zu unterzeichnen. Eigentlich ein Termin für routinierte Herzlichkeit. Doch es herrscht Totenstille. Das fällt auch Seehofer mal auf. Er gibt sich einen Ruck, ringt sich ein Lächeln ab. Fragen wehrt der sonst so gesprächige Bayer ab: „Ich sag nix mehr.“

Er ahnt wohl, dass einige in Berlin schon Wetten abschließen, wie lange er sich halten kann – als Innenminister und CSU-Chef. In der Unionsfraktion gibt es Stimmen, die sagen: „Vor Weihnachten ist er weg.“ Mitte Oktober wird in Bayern gewählt. Noch ist nicht abzusehen, wie sich Seehofers Manöver und der erbitterte Unionskrach für die CSU auswirken. Sie muss nicht nur den Verlust der absoluten Mehrheit fürchten, sondern auch ein Abrutschen unter 40 Prozent.

In Sichtweite einer für die CSU existenziell wichtigen Wahl hat der Vorsitzende seine Partei zeitweilig ins Wanken gebracht – als er erst seinen Rücktritt ankündigte und dann, keine 24 Stunden später, den Rücktritt vom Rücktritt verkündete. Auf dieses Manöver hätte man gerne verzichtet, sagt ein CSU-Mann und verweist auf die verheerende Außenwirkung. Im ARD-„Deutschlandtrend“ ist der Minister auf den niedrigsten jemals für ihn gemessenen Zustimmungswert abgesackt.

Aber hat sich das Ganze wenigstens gelohnt? Da gehen die Meinungen in der CSU weit auseinander. Manche in der Partei meinen: Ja, Seehofer und die CSU hätten die EU zum Handeln gezwungen. Andere Vorstandsmitglieder sagen dagegen: Nein, den Kompromiss hätte man auch anders locker bekommen können: „Das Theater hat uns nur geschadet. Und zwar massiv.“ Die Anhängerschaft sei gespalten und verunsichert. Vor allem die bürgerliche Mitte, Kirchennahe, Junge und Wirtschaftskreise seien enttäuscht bis entrüstet über den Stil der Auseinandersetzung. Das geht so weit, dass es in engeren Zirkeln schon jetzt Geraune gibt, Seehofer nach einem möglichen Wahldebakel als Sündenbock hinzustellen – um Ministerpräsident Markus Söder zu schonen.

Auch darüber, wer Seehofer eventuell als Minister nachfolgen könnte, wird in der Berliner Politik-Blase schon fleißig spekuliert. Stephan Mayer (CSU), den Seehofer als Staatssekretär ins Innenministerium geholt hat, wäre eine logische Wahl. Doch er hat in der Affäre um das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Einschätzung von Innenpolitikern keine gute Figur abgegeben. Seehofer habe die Spekulationen um seine Person selber befeuert, sagt einer aus der CSU-Führung. Für ihn sei das „Ende offen, aber absehbar“.

Am Dienstag stellt Seehofer seinen Masterplan vor. Was bleibt vom Asylstreit? Im Juni war Seehofer mit einer Maximalforderung in den Streit gegangen: Die Polizei sollte alle Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, an der Grenze zurückweisen. Das haben jetzt CDU und SPD zusammengestrichen: Es geht nur noch um jene, die anderswo schon einen Asylantrag gestellt haben. Nach Seehofers Angaben sind das derzeit etwa fünf Migranten am Tag. Er argumentiert, man müsse zeigen, dass Recht durchgesetzt werde. „Da kommt’s nicht auf die Masse an.“  dpa

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