„Alarmzeichen für die Demokratie“

INTERVIEW: Der australische Historiker Clark über Trump, Merkel und den Hauch der Geschichte
München – Ob Kanzler oder Despot – die Mächtigen berufen sich immer auf die Geschichte, um ihre Stellung zu legitimieren. Das sagt der australische Historiker Sir Christopher Clark, dessen Buch „Die Schlafwandler“ über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein Bestseller war. Ein Gespräch über Donald Trump, US-Politik und warum die Geschichte Angela Merkel positiv in Erinnerung behalten wird.
Herr Clark, Sie haben ein neues Buch über Zeit und Macht geschrieben. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Zeit war für Machthaber immer ein wichtiges Moment. So wollten zum Beispiel die linken Protagonisten der Französischen Revolution den gregorianischen Kalender verändern. Sie wollten weg von dem christlichen Kalender, der vom Vatikan unter Papst Gregor XIII. eingeführt wurde und den julianischen Kalender ablöste. Die französischen Revolutionäre hatten sogar schon neue Kalendernamen entworfen. Und Stalins Russland verfolgte die Idee, eine Zehn–Tages-Woche einzuführen. Letztlich wollen alle Machthaber ihren Fingerabdruck für ihre jeweilige Epoche hinterlassen. Sie wollen sich einbetten in die Geschichte.
Werfen wir einen Blick auf die aktuelle Geschichte. Wie ordnet sich ein Machthaber wie US-Präsident Donald Trump im Vergleich zu den Vorgängern in „die Zeit“ ein?
Trump ist der erste US-Präsident der modernen Zeit, der die Vereinigten Staaten nicht als Vorreiter der Moderne sieht. Er spricht von Amerika als von einem gebrochenen, ausverkauften und verratenen Land. Schuld daran sind die Europäer und die Chinesen. Trump spricht von Amerika wie die AfD von Deutschland. Die spricht über die Bundesrepublik von einem „links-rot-versifften Land“. Beide sehen die Zukunft ihrer Länder über den Weg der Vergangenheit. Das ist kein vielversprechendes Geschichtsbild.
Und wie sieht das des französischen Präsidenten Emmanuel Macron aus?
Macron ist ein zeitbewusster Mensch, wenn er feststellt, dass Europa unser Horizont ist, uns schützt und unsere Zukunft gewährleistet. Und er hat recht, wenn er sagt, dass sich das Haus Europa nicht von selbst baut. Wer so denkt, der wird in der Vergangenheit landen, und die Vergangenheit wird dann die Gegenwart einholen. Macron fordert uns auf, die Zukunft neu zu konstruieren und neu zu besetzen. Wenn wir das nicht tun, sind die Menschen verunsichert.
Was unterscheidet die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vom französischen Präsidenten?
Frau Merkel gehört politisch einer anderen Generation als Macron an. Und das liegt nicht nur am Geburtsdatum. Sie kam an die Macht, als Deutschland in der Krise war. Ihre persönliche Signatur ist die Verlangsamung der Politik. Durch ihre Ruhe und ihre Stille hat sie Krisen gemeistert. Ich bin der Überzeugung, dass die Geschichte positiv über Frau Merkel urteilen wird, denn sie hat in schwierigen Zeiten Bodenständigkeit und Verlässlichkeit vermittelt, wo andere vielleicht in panikartige Alleingänge verfallen wären.
Dieser „bodenständige“ Politikstil von Frau Merkel hat nicht nur Vorteile …
Mir als Außenstehendem fällt auf, dass um sie herum alles ruhig wird. Vielleicht konnte sich deshalb auch kein Nachfolger neben ihr entwickeln. Das ist der Nachteil dieser Art zu führen. Aber mit ihrer Zuverlässigkeit und Beständigkeit hat Frau Merkel unglaubliches Zutrauen aufgebaut.
Wie ist es um das Geschichtsbewusstsein der Kanzlerin bestellt?
Frau Merkel hat zu ihrer Party, als sie ihren 60. Geburtstag feierte, den Historiker Jürgen Osterhammel als Festredner eingeladen. So eine Einladung lässt jedes Historikerherz höher schlagen. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble liest ständig in Geschichtsbüchern. Das zeigt, wie geschichtsbewusst beide sind. Sie bringen damit die Historie ins politische Alltagsgeschäft. Frau Merkel und Herr Schäuble sind somit das Gegenteil von Donald Trump, der die schnelle Gegenwart des Tweets (Kurznachricht) sucht.
Bei den Populisten kommt Trump gut an. Was hat die Populisten in Europa so erfolgreich gemacht?
Den Aufstieg des Populismus dürfen wir nicht monokausal betrachten, aber die Finanzkrise von 2008 war sicher ein Auslöser des Populismus in Europa. Ein Riss ging vor zehn Jahren durch die Öffentlichkeit. Durch das Scheitern der Finanzeliten wurde das Vertrauen der Menschen erschüttert. Aber auch die zunehmende soziale Ungleichheit gefährdet den Zusammenhalt in Europa.
Sind die Demokratien in Europa gefährdet?
Im Moment nicht, aber es gibt bereits gefährliche Alarmzeichen. Jetzt sollten sich die, die Europa verteidigen wollen, an Deck begeben. Ich glaube zwar nicht, dass die Menschen in Europa gegen den Kapitalismus kämpfen werden, aber für ein Gesellschaftsmodell, in dem der Einzelne bestimmen kann, was mit ihm geschieht. Um das zu erreichen, ist eine Mobilisierung der Mitte dringend notwendig.
Interview: Dieter Hintermeier
Das Buch:
Christopher Clark, „Zeit und Macht, Herrschaft und Geschichtsbild vom Großen Kurfürsten bis zu den Nationalsozialisten“, Deutsche Verlags-Anstalt , München 2018, 320 Seiten, 26 Euro.
