Kabul – Sarwar Malang sitzt in seinem Wohnzimmer zwischen bunten Plastikblumen und unter einem Glasschrank mit Puppen und Ziegenfiguren. Am Fenster zwitschern grüne Singvögel fröhlich in ihren hübschen Käfigen. Malang selbst ist weniger gut gelaunt. „Fünf Jahre war Aschraf Ghani jetzt an der Macht“, sagt er, als er aus dem Fenster über das karge Feld unter sich blickt, auf dem junge Männer mit selbstgebastelten Schlägern Cricket spielen. „Das war doch unsere unglücklichste Zeit überhaupt.“ Die Zahl der Morde sei gestiegen und die der Selbstmordanschläge. „Wie viele Kinder sind gestorben!“, ruft der 63-Jährige. Malang kennt sich aus mit dem Tod und der Verzweiflung. Er ist Totengräber in Kabul. Am Samstag will er bei der Präsidentenwahl helfen, sein Land in Richtung einer besseren Zukunft zu lenken.
18 Kandidaten stehen auf dem Stimmzettel. Viele von ihnen waren bereits an der Macht, Ex-Minister oder -Geheimdienstler, einer ist der ehemalige Warlord Gulbuddin Hekmatjar. Wirkliche Chancen auf einen Sieg haben nur zwei: der amtierende Präsident Aschraf Ghani und sein Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah.
Beide waren nach der umstrittenen Präsidentenwahl 2014, bei der sie bereits gegeneinander angetreten waren, unter Vermittlung – manche sagen auch unter Zwang – des damaligen US-Außenministers John Kerry eine Regierung der nationalen Einheit eingegangen. Das verhinderte zwar eine Krise und vielleicht einen neuen Bürgerkrieg, aber auch substanzielle Fortschritte. Beide Lager lähmten sich die meiste Zeit mit Streit über die Postenverteilung gegenseitig, sagt Afghanistan-Experte Thomas Ruttig von der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network. „Die beiden wichtigsten Ziele konnten sie nicht erreichen: den Krieg zu beenden und die sozialökonomische Situation der Menschen zu verbessern.“
Ghani selbst sagte bereits im Januar, 45 000 Polizisten und Soldaten seien seit seinem Amtsantritt Ende 2014 im Kampf gegen Taliban und IS umgekommen. Zudem starben UN-Angaben zufolge über 15 000 Zivilisten. Mehr als die Hälfte der Afghanen leben inzwischen wieder unterhalb der Armutsgrenze – so viele wie zuletzt 2003, bevor Milliardenhilfen aus dem Ausland flossen.
Die Wahl kommt zu einem Zeitpunkt, da der Krieg nach dem Abbruch der Friedensgespräche zwischen USA und Taliban erneut eskaliert. Die Islamisten, die weite Landstriche kontrollieren, haben im Vorfeld der Wahlen ihr Anschlags-Tempo erhöht. Rund ein Drittel der Wahlzentren wird am Wahltag wegen Unsicherheit geschlossen bleiben. Viele haben aus Angst entschieden, nicht wählen zu gehen. Andere bleiben fern, weil sie enttäuscht sind, dass die Regierung weder die Wirtschafts- und Sicherheitslage noch die Korruption in den Griff bekommt. Afghanische Analysten prognostizieren, dass von den 9,6 Millionen registrierten Wählern gerade mal 1,5 Millionen wirklich eine Stimme abgeben werden.
In Kabul sind dieser Tage viele Warnungen vor einer Krise nach der Wahl zu hören. Ex-Warlord Hekmatjar droht unverhohlen mit Gewalt, sollte es Wahlbetrug geben. Auch Abdullah, der sich als Sieger der letzten Präsidentschaftswahlen wähnt, sagt, seine Anhänger seien dieses Mal nicht bereit, einen legitimen Wahlsieg zu opfern. „Kommt es bei der Wahl wieder zu Problemen oder einem knappen Ausgang, dann sortiert sich wieder alles ethnisch“, sagt der Experte Ruttig. Die ehemaligen Warlords hätten genug Macht und Geld, um Proteste oder auch Gewalt loszutreten.