Gipfel endet ohne Einigung

von Redaktion

Der Brexit setzt die EU unter Zugzwang. Man will Europa als positives Modell der Zukunft darstellen. Doch es fehlen Milliarden in der Kasse für die kommenden Jahre. Deshalb vermittelt der EU-Gipfel ein völlig anderes Bild.

VON ROLAND SIEGLOFF

Brüssel – Nach einer langen Verhandlungsnacht brachte ein EU-Diplomat die Lage auf den Punkt: „Das ist so, als wenn man in ein Autohaus geht, sich umsieht und sagt: „Oh, dieser Range Rover gefällt mir, den möchte ich haben!“ Und dann stellt man fest, „ich habe nur Geld für einen Opel“. Und dann geht man zu Mutti und sagt: „Gib mir das Geld für den Range Rover!“ Aber Mutti sagt Nein.“

Der klamme Autokäufer in dieser Geschichte, das sind die EU-Staaten und ihre Bürger, die im Schaufenster der EU-Kommission und des Parlaments die glänzenden Pläne für ein besseres Europa bestaunen: Weltpolitisch aktiv sollte es sein, sozial und hilfreich, resolut umwelt- und klimafreundlich, bürgernah, verteidigungsbereit, technologisch ein Gegengewicht zu China und den USA. Doch das kostet Geld, gut eine Billion Euro in den nächsten sieben Jahren. Und Mutti hält das Portemonnaie geschlossen.

Fünf Regierungschefs waren es, die in der entscheidenden Nacht in Brüssel hart blieben: Kanzlerin Angela Merkel lehnte eine überproportionale Erhöhung des deutschen EU-Beitrags ebenso ab wie der Österreicher Sebastian Kurz und die Ministerpräsidenten der Niederlande, Dänemarks und Schwedens. „Die Differenzen waren einfach zu groß“, sagte Merkel am Freitagabend. „Wir werden also auf das Thema zurückkommen müssen.“ Wann es einen neuen Anlauf gibt, ist offen.

Dass die Staats- und Regierungschefs zwei Gipfeltreffen für einen Haushaltsbeschluss brauchen, hat in der EU Tradition. Aber die Zeit ist diesmal fortgeschritten. Selbst wenn sich die 27 im zweiten Anlauf einigen, muss der Rat seinen Budgetplan für die Jahre 2021 bis 2027 noch mit dem EU-Parlament abstimmen. Anderenfalls beginnt 2021 für die EU mit einem Nothaushalt.

Merkel hatte noch ein zusätzliches Interesse an einer baldigen Einigung: Im zweiten Halbjahr übernimmt Deutschland den EU-Vorsitz, muss dann einen EU-China- und einen EU-Afrika-Gipfel organisieren und nervenaufreibende Verhandlungen über das künftige Verhältnis der Briten zur EU führen. Streit um die EU-Kasse käme da höchst ungelegen.

Wobei der Brexit bereits den Finanzstreit verschärft hat: 60 bis 75 Milliarden Euro fehlen für die nächsten sieben Jahre. Wenn die Lücke so geschlossen würde, wie EU-Ratspräsident Charles Michel das in einem abgelehnten Plan vorgeschlagen hatte, würde das vor allem die fünf größten Nettozahler treffen. 13 statt bisher 8 Milliarden Euro müssten dann etwa die Niederländer zahlen, sie bekämen aber nur 2,5 zurück.

Die meisten EU-Parlamentarier wollen sich nicht mit weniger Europa zufriedengeben. Allein der gemeinsame Markt, sagen sie, bringe den reichen Mitgliedsstaaten mehr ein, als der EU-Beitrag sie kostet. Die Abgeordneten fordern mehr Geld, als selbst Michels Vorschlag vorsah. Neben Range Rover und Opel müssten dann noch ein paar E-Bikes ins Schaufenster.

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