Rio de Janeiro – Die Angehörigen von Dona Amalia sind verzweifelt. „Wollt ihr uns nicht drannehmen?“, flehen sie. „Die Frau stirbt im Auto!“ Doch die Sanitäter hinter der verschlossenen Eingangstür des Krankenhauses reagieren nicht. Schließlich kommt doch ein Mann heraus. „Wir können nichts machen“, sagt er. Dann bricht das dramatische Video aus der brasilianischen Amazonas-Metropole Manaus ab. Auf Anfrage versichert das örtliche Gesundheitssekretariat, dass die Frau letztendlich versorgt worden sei. Allerdings habe sie da schon im Sterben gelegen.
Das Krankenhaus ist seit Kurzem für Covid-19-Patienten reserviert – andere Notfälle werden nicht mehr behandelt. Angesichts der steigenden Zahl von Infektionen ist das Gesundheitswesen in Manaus am Limit. Dabei herrschten dort schon vor der Pandemie chaotische Zustände. Funktionäre wurden wegen Korruption verhaftet, Gehälter nicht gezahlt. Nun erzählen Bewohner von Manaus, dass sie aufgefordert werden, nur noch bei Atemproblemen ein Hospital aufzusuchen. Nachdem ein Video kursierte, das Patienten neben Toten in Plastikfolien zeigte, wurde ein Kühlcontainer zur Lagerung von Leichen aufgestellt. Massengräber wurden ausgehoben, die Särge werden gestapelt.
Mehr als 66 500 Brasilianer sind infiziert, 4543 starben. Laut der Beobachtungsstelle brasilianischer Universitäten verdoppelte sich die Zahl der Toten zuletzt innerhalb von acht Tagen. „Das ist der Beginn der schwierigsten Phase“, sagt der Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro. „Nach einem Drehbuch, das wir schon anderswo gesehen haben. In Brasilien erschwert wegen unserer schwierigen sozialen Lage.“
Auch in anderen Städten sind die Krankenhäuser an ihre Grenzen geraten. Auf den Intensivstationen der öffentlichen Kliniken in Rio de Janeiro gibt es keine freien Betten für Corona-Patienten mehr. Nun setzt Rio auf provisorische Hospitäler in Zelten – unter anderem im Maracana-Stadion.
Der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro nimmt das Coronavirus noch immer auf die leichte Schulter und fordert eine Rückkehr zur Normalität. Selbst innerhalb der Regierung herrscht Uneinigkeit. „All das macht den Kampf gegen die Pandemie natürlich schwieriger“, sagt Politikwissenschaftler Santoro. Im Streit über den Umgang mit dem Virus entließ Bolsonaro den beliebten Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta, der eine strenge Linie verfolgt hatte. Der prominente Justizminister und ehemalige Korruptionsermittler Sergio Moro trat am Freitag zurück und erhob schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten.
Wegen des Verdachts politischer Einflussnahme auf die Bundespolizei hat das Oberste Bundesgericht mittlerweile die Eröffnung eines Verfahrens gegen Bolsonaro genehmigt. Moro hatte gesagt, er sehe keine Möglichkeit mehr, die Unabhängigkeit der Bundespolizei zu bewahren, nachdem Bolsonaro den Chef der Bundespolizei, einen engen Vertrauten Moros, entlassen hatte. Moro warf Bolsonaro vor, Einfluss auf Verfahren gegen Söhne des Präsidenten nehmen zu wollen. MARTINA FARMBAUER