Canberra/Peking – Wäre der Ausbruch der Pandemie in diesem Ausmaß durch mehr Transparenz vermeidbar gewesen? Entstammt das Coronavirus einem Wildtiermarkt oder einem Labor in Wuhan? Die Beantwortung dieser Fragen kann wohl nur unter Mithilfe der chinesischen Regierung erfolgen. Statt um Aufklärung scheint man dort aber eher um das Abwenden von Imageschäden bemüht. Zuletzt reagierte man auf eine Forderung Australiens, die Verantwortung Chinas zu untersuchen, mit Entsetzen und Drohungen.
Pekings Botschafter in Canberra, Cheng Jingye, erklärte, China sei „frustriert, bestürzt und enttäuscht“ über das Ersuchen der Australier und warnte vor den Folgen, die solche Ermittlungen mit sich führen könnten: „Sollte die Stimmung schlechter werden, könnten Menschen denken: ‚Warum sollten wir in ein Land reisen, das sich gegenüber uns nicht freundlich verhält? Warum sollten wir australischen Wein trinken oder australisches Rindfleisch essen?‘“
Die öffentliche Androhung eines Warenboykotts ist aber nur ein Mittel der Volksrepublik, internationale Untersuchungen zu verhindern. Zuletzt wurde bekannt, dass einzelne chinesische Diplomaten deutsche Beamte kontaktiert hatten, um die Berichterstattung über das Corona-Krisenmanagement Chinas positiv zu beeinflussen.
Die EU warnt zwar vor der gezielten Streuung von Desinformationen sowie den Beeinflussungsversuchen durch China. Doch anstatt sich über dieses Verhalten zu brüskieren, wirkt Europa gehemmt. Gehemmt, weil China Präsenz zeigte, als die EU-Staaten bei der Bewältigung der Pandemie auf Unterstützung angewiesen waren.
Mit solidarischen Hilfsprojekten präsentiert sich China als Retter in der Not. Die Belieferung Österreichs, Frankreichs und Spaniens mit medizinischer Ausrüstung, das Eintreffen chinesischer Ärzte in Italien oder die Übermittlung von 15 000 Masken an den Landkreis Heinsberg – fraglos profitieren diese Empfänger allesamt von den Unterstützungsleistungen, China nutzen diese Bilder aber vor allem als Werkzeug für Staatspropaganda.
Denn auch innerhalb Chinas soll möglichst niemand an den Darstellungen der Regierung zweifeln. Vermutlich fehlt deshalb seit dem 19. April jede Spur von drei Aktivisten der Initiative „Terminus 2049“, die von den Behörden zensierte Artikel über das Coronavirus im Internet veröffentlichten. Sie werfen der Regierung vor, Informationen über den Ausbruch zurückzuhalten. Für diesen Vorwurf spricht unter anderem, dass chinesische Forscher derzeit nur noch nach inhaltlicher Prüfung der Behörden neue Erkenntnisse über das Virus publizieren dürfen.
Allen Anstrengungen zum Trotz bleiben die Forderungen nach Aufklärung bestehen. Donald Trump geht davon aus, dass die Ausbreitung bereits in Wuhan hätte verhindert werden können. Die US-Regierung prüfe deshalb, wie Peking mittels Entschädigungszahlungen„zur Rechenschaft gezogen“ werden könne. JULIAN NETT