„Die R-Zahl ist wichtig, aber nicht alles“

von Redaktion

RKI-Präsident zieht positive Bilanz der Corona-Krise – Deutlich weniger Neuinfektionen

Berlin/München – Das Robert-Koch-Institut (RKI) zieht ein positives Fazit der bisherigen Anti-Corona-Politik. „In Deutschland ist es vergleichsweise gut gelungen, durch diese Epidemie zu kommen“, sagte Präsident Lothar Wieler. Er warnte davor, das zu verspielen: „Wir wollen diesen Erfolg verteidigen. Das schaffen wir auch, wenn wir uns an bestimmte Regeln halten.“

Im März lag die Zahl der täglichen Neuinfektionen teils noch bei 5000 Fällen. Diese Zahl sank in der Vorwoche im Schnitt auf 2000 – und gestern gab es sogar nur noch 1144 Neuinfektionen im Vergleich zum Vortag. Deutschland habe frühzeitig Maßnahmen ergriffen und bisher damit Erfolg gehabt, so Wieler.

Aber: Die Sorge ist groß, dass die Fallzahlen deutlich steigen, je mehr das normale Leben wieder anläuft. Wieler zeigte sich optimistisch: „Wenn Maßnahmen gelockert werden, werden wir hoffentlich keinen zu starken Zuwachs haben, wenn wir Abstand halten, die Hände waschen und der Mundschutz sachgemäß getragen wird.“

Die Reproduktionszahl, die anzeigt, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt, ist zuletzt leicht gestiegen – von rund 0,8 über 1 auf 0,9. Wieler warnte davor, sich bei der Corona-Bekämpfung zu sehr auf diese Zahl zu konzentrieren. Die R-Zahl sei zwar ein „wichtiger Faktor“, aber „nur eine Messzahl unter vielen“. Man wolle sie unter 1 halten. Je niedriger, desto sicherer könne man sich fühlen.

Weitere zu berücksichtigende Kennzahlen seien die täglich gemeldeten Neuinfektionen, Kapazitäten im Gesundheitssystem und die Testkapazitäten. Die vom RKI täglich berechnete Reproduktionszahl sei zudem nur ein Durchschnittswert für ganz Deutschland, hinter dem regional sehr unterschiedliche Werte steckten. Für Bayern schätzt das RKI die Reproduktionszahl derzeit auf 0,9. Es gebe Gegenden, in denen diese weit höher sei. Zur Abschätzung der Lage sei die R-Zahl allein nicht geeignet und dürfe daher auch „nicht aus dem Kontext“ genommen werden.

Kanzlerin Angela Merkel hatte im Zuge der Ankündigung erster Lockerungen deutlich gemacht, dass schon vermeintlich kleine Änderungen der Reproduktionszahl erhebliche Folgen haben können. Auch der Berliner Virologe Christian Drosten warnte im NDR: Wenn die Zahl nach Lockerung der Maßnahmen wieder über 1 kommen sollte, könne die Epidemietätigkeit in nicht erwarteter Wucht wieder losgehen. Ein „Oster-Effekt“ lässt sich aus dem leichten Anstieg der R-Zahl nicht herauslesen: Ob sich das Verhalten der Menschen angesichts des schönen Wetters an den Feiertagen negativ auf die R-Zahl ausgewirkt habe, „sehen wir frühestens in zwei Wochen“, so Wieler.

Deutschland steht auch bei der Todesrate im internationalen Vergleich „ganz gut“ da: Bei uns sterben 3,8 Prozent der erfassten Infizierten; die Zahl steigt tendenziell, weil das Virus in immer mehr Heimen unter alten Menschen zirkuliert. In den USA liegt die Rate bei 5,7 Prozent, in Spanien bei 11,1 und in Großbritannien sogar bei 13,6. Im Schnitt steigt die Zahl der Todesfälle um 100 bis 300 pro Tag – von Montag auf Dienstag waren 115 Todesfälle zu beklagen. Die Corona-Toten sind im Schnitt 81 Jahre alt. 87 Prozent der Patienten sind 70 und älter. Allerdings gibt es immer wieder auch junge Opfer, etwa den 35-jährigen afghanischen Asylbewerber aus München, der am Montag starb (wir berichteten). Insgesamt gab es in der Stadt 5719 Fälle (darunter 112 neue) und 157 Tote.

Deutschlandweit sind 6161 Menschen an einer Corona-Infektion gestorben. Am Dienstag der vergangenen Woche hatte das RKI den größten Anstieg der Corona-Todesfälle in Deutschland seit Beginn des Ausbruchs gemeldet. Mit dieser Steigerung war aber gerechnet worden, weil sich zuletzt mehr ältere Menschen mit dem Coronavirus infiziert hatten. KLAUS RIMPEL

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