Mit leisem Ächzen öffnet sich der Schlagbaum: Zwischen Bayern und Österreich liegen schwierige Monate des Corona-Krisenmanagements. Ist nun wieder ein Schritt über die Grenze möglich? Nur mit Quarantäne? Und wie lockt Österreich an Pfingsten Touristen zu sich? Wir haben uns mit Bundeskanzler Sebastian Kurz getroffen. Er ist anlässlich des Ludwig-Erhard-Gipfels in München, wurde dort mit einem Preis ausgezeichnet, beriet sich später auch mit Ministerpräsident Söder. Kurz (34, ÖVP) wirbt eindringlich für ein schnelles Quarantäne-Ende.
Herr Bundeskanzler, herzlich willkommen im Nachbarland. Das Verhältnis war zuletzt ja nicht immer ungetrübt, oder?
Die Pandemie war für alle in der EU eine riesige Herausforderung. Es gab teilweise notwendige Einschränkungen der Reisefreiheit – ja, eine ungewohnte Situation. Die Zusammenarbeit hat trotzdem sehr gut funktioniert.
Wirklich? Bayern-Regent Söder hat Ihnen den Ausbruch in Ischgl nachgetragen, hat da oft und gern öffentlich drüber geredet. Generell misstraut er Ihren Lockerungen. Das ärgert Sie doch, als Corona-Spreader dazustehen?
Das Virus ist ein globales Phänomen. Es kam von China nach Italien und hat sich von dort aus in Europa weiterverbreitet. Unsere beiden Länder haben in der Pandemie Phasen gehabt, wo es mal besser, mal schlechter gelaufen ist. Im Moment sind wir in Österreich in der Inzidenz unter 100, sind sehr gut durch die dritte Welle gekommen – in weiten Teilen des Landes ohne Lockdown.
Sie haben die Geschäfte trotz hoher Inzidenzen schon länger aufgesperrt. Trauen Sie sich mehr als Merkel und Söder?
Ich glaube, dass unsere Strategie der intensiven Tests richtig war. Wir testen seit vielen Wochen in Schulen, Apotheken, bei Ärzten, in Teststraßen: pro Woche 2,5 Millionen Tests in einem Land mit neun Millionen Einwohnern. Wir haben die Ansteckungszahlen damit unter Kontrolle gehalten. Geschäfte und Schulen sind seit Anfang Februar bei uns meist geöffnet. Und am 19. Mai folgen breite Öffnungsschritte für Tourismus, Gastronomie, Kultur und Sport.
War ja interessant, das zu beobachten: Kaum hatten Sie die Hotel-Öffnung für 19. Mai angekündigt, hat sich Bayern bewegt und den 21. Mai verkündet. Sicherlich reiner Zufall?
Diesmal vielleicht Zufall. Über viele Details haben wir uns aber sehr eng abgestimmt. Ich habe in dieser Pandemie Stunden um Stunden am Telefon verbracht mit Markus Söder, Angela Merkel, vielen anderen Regierungschefs, um voneinander zu lernen: Was sind die besten Konzepte, bei welchen Rückschlägen kann man von anderen vorher lernen?
Naja, beim Tourismus gibt es eher Konkurrenzkampf!
Ich sehe das nicht als Konkurrenzkampf. Und die Reisefreiheit ist mehr als nur Tourismus, sondern der Kern unseres Binnenmarkts. Es geht um unsere Wirtschaftsstärke in Europa – und um unsere Freiheit.
War es überhaupt ein Fehler, die Grenze Bayern/ Österreich zu schließen?
Man kann in einer Pandemie nicht immer alles richtig entscheiden. Ich glaube: Jetzt, wo wir den Impfturbo gezündet haben, eine ungeheure Zahl an Tests durchführen und gute Schutzmasken flächendeckend haben, gibt es wesentlich bessere Möglichkeiten, ein Virus zu stoppen, als mit mittelalterlichen Methoden des Lockdowns oder der Grenzschließung. Wir haben jetzt auf beiden Seiten der Grenze Daumen mal Pi eine ähnliche Infektionslage – daher ist es doch angebracht, den Menschen die Freiheit zurückzugeben. Wir müssen bei Inzidenzen von unter 100 bei uns oder 120 in Bayern nicht Nachbarorte voreinander schützen. Und die Gefährdung in Berlin, München oder Wien ist einfach ähnlich. Ich bin daher sehr froh, dass in einem ersten Schritt der kleine Grenzverkehr wieder ermöglicht wird.
Sie erlauben Touristen den Zugang mit nur einer Impfung. Ist das nicht etwas leichtfertig?
Nein, da ist nichts leichtfertig. Zugang etwa zur Gastronomie bekommt nur, wer geimpft, genesen oder getestet ist. Geimpft heißt bei uns: erste Dosis plus drei Wochen. Das wird begleitet von massivem Schutz durch FFP2-Masken, schnelles Impfen und viele Tests. Die Lage entwickelt sich sehr, sehr gut.
Keine vierte Welle, keine Mutante…?
Alle, die sagen, es kann eine vierte Welle oder eine Mutation kommen, haben recht. Aber falls sich das Problem im Herbst stellt, werden wir dann auch entsprechend re-agieren. Sich heute aber bereits davor zu fürchten, bringt uns nicht weiter. Gefahren wehren wir ab, wenn sie sich stellen.
Sie haben versprochen, dass der digitale EU-Impfpass, der freies Reisen in Europa ermöglichen soll, in Österreich ab 6. Juni läuft. Wir winken noch mit unseren gelben Impf- Bücherln. Hat Deutschland gepennt?
Ich erwarte, dass es vor dem Sommer eine europaweit einheitliche Lösung gibt. Unabhängig davon habe ich mit vielen Nachbarländern besprochen: Falls bis dahin keine europäische Lösung zustande kommt, dann setzen wir auf bilaterale Abkommen, um die Impfdokumente gegenseitig anzuerkennen. Wir wollen nach dieser schweren Phase der Pandemie endlich unser altes Leben zurück. Und wir wollen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich die Wirtschaft gut entwickeln kann und Arbeitsplätze entstehen, die in der Krise vernichtet worden sind.
Deutschland steuert auf eine schwarz-grüne Koalition zu, die in Wien längst regiert. Haben Sie einen Tipp für den Kanzlerkandidat Laschet? Muss man die Grünen umarmen oder als Hauptgegner stellen?
Ich bin nicht hier, um Tipps zu geben. Das brauchen CDU und CSU auch nicht. Aber was ich schon sagen kann: Ich wäre froh, wenn es nach wie vor eine starke bürgerliche Führung in Deutschland gibt. Es ist das stärkste und wichtigste Land in der EU.
Warum klappt Schwarz-Grün in Wien? Geben Sie sich Freiräume?
Die braucht jede Koalition. Es läuft gut, weil wir versuchen, Ökologie und Standortpolitik in Einklang zu bringen: eine ökosoziale Marktwirtschaft, Respekt vor der Schöpfung.
Und beim Thema Migration dürfen die Grünen nicht mitreden?
Beim Thema Migration gibt es eine ganz klare Linie. Wir haben sehr, sehr viele Menschen aufgenommen in den letzten Jahren, aber wir sind gegen unbeschränkte Zuwanderung nach Mitteleuropa. Und wir werden auch nicht akzeptieren, dass kriminelle Schlepper darüber entscheiden, wer nach Europa kommt.
Interview: Georg Anastasiadis, Mike Schier, Chr. Deutschländer