Attacken auf die Wahl

von Redaktion

VON MARC BEYER

München – Dieses eine Beispiel ist Georg Thiel so wichtig, dass er es gleich mehrfach anführt, am Ende fast ein halbes Dutzend Mal. In den sozialen Medien sei schon in der Vergangenheit die Integrität der Briefwahl angezweifelt worden, erinnert der Bundeswahlleiter. Konkret hieße es dann, dass die Urnen zwischendurch geöffnet würden, um Unterlagen einzuwerfen – und bei Bedarf das Ergebnis zu beeinflussen. Weil dieser Angriff auf das Herz der Demokratie zielt, kann Thiel es nicht oft genug sagen: Urnen bleiben verschlossen, Manipulation wird verhindert, Wahlen sind sicher.

Heute in vier Monaten wird ein neuer Bundestag gewählt. Seit letztem Jahr bereiten sich die Behörden konkret auf diesen Tag vor, aber dass massive Störmanöver auf sie zukommen werden, wissen sie noch länger. „Wir haben es mit einer sehr komplexen Bedrohungslage zu tun“, sagt Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Der Blick über die Grenzen und auf die vielfältigen Versuche der Beeinflussung war ein Vorgeschmack auf den Herbst 2021.

Manche sind auf den ersten Blick eher plump gewesen wie der Vorwurf der Wahlmanipulation durch Donald Trump, ohne je einen Beleg zu liefern. Andere kamen unvermittelt wie die geleakten Dokumente über Emmanuel Macron kurz vor der französischen Präsidentenwahl 2017. Schönbohm geht davon aus, dass Ähnliches „auch in Deutschland als wirtschaftlich potenteste Macht in Europa attraktiv ist“.

Kampagnen zur Desinformation dienen vor allem dem Zweck, Zweifel zu säen. Am politischen Personal, am Wahlprozess und in der Konsequenz am Ergebnis selbst. In Pandemiezeiten kommt hinzu, dass die Zahl der Briefwähler steigt – Thiel rechnet mit einer Verdreifachung – und das Internet als Informationsquelle noch mehr an Bedeutung gewinnt.

Konkret halten es die Behörden für möglich, dass Hacker versuchen werden, die Konten von Abgeordneten zu übernehmen und unter falscher Flagge Unwahrheiten über die sozialen Medien zu verbreiten. Schönbohm warnt auch vor „Deep Fakes“, bei denen Gesichter von Politikern in Videos mit völlig anderer Aussage montiert werden: „Bei Youtube gibt es da Aufrufe in Millionenhöhe.“

Erfahrungswerte gibt es nicht nur aus dem Ausland. Bei einer früheren Wahl in Deutschland machte in den sozialen Netzwerken plötzlich die Meldung die Runde, dass die Wahllokale bereits um 15 Uhr schließen, drei Stunden früher als geplant. Sowas klingt im ersten Moment erstaunlich schlicht. Aber auch schlichte Manöver können Erfolg haben. Gerade erst ergab eine Umfrage, dass ein Viertel der Amerikaner die Präsidentenwahl noch immer für gefälscht hält.

Als Urheber von Desinformationskampagnen ist in der Vergangenheit vor allem Russland aufgefallen. Auch wenn das Riesenreich bei der gestrigen Online-Pressekonferenz nicht namentlich erwähnt wird, steht es unübersehbar im virtuellen Raum, als prominentester der üblichen Verdächtigen. Es wäre aber falsch, sagt Schönbohm, „in diesem Kreis zu sagen, woher wir mit welchen Angriffen rechnen.“ Grundsätzlich sehe er sich als Torwart, der jeden Schaden abwenden müsse. „Ob der Schuss vom VfL Bochum oder dem FC Bayern kommt, ist sekundär.“

Auf der Seite bundeswahlleiter.de werden Fehlinformationen richtiggestellt. Es gibt ein „Rotes Telefon“, das das BSI mit den IT-Verantwortlichen der großen Plattformen (Facebook, Twitter, Instagram) verbindet und schnelle Reaktionen auf Lügenkampagnen ermöglichen soll. Man twittert, checkt Fakten und ist in ständigem Kontakt zu den Parteien. Manchmal gestaltet der sich aber schwierig, sagt Thiel. Er werde oft gefragt, „in welcher Partei ich bin“. Als sei er voreingenommen. Dabei ist seine einzige Mitgliedschaft die beim 1. FC Köln. „Sie wissen also, was ich gerade erleide.“

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