Breites Bündnis gegen Netanjahu

von Redaktion

Tel Aviv – Kurz vor dem Ablauf einer Frist sieht Oppositionsführer Jair Lapid noch immer Hindernisse bei der Bildung einer neuen Regierung in Israel. Doch der ehemalige Moderator gibt sich zuversichtlich: „Vielleicht ist das eine gute Sache, weil wir sie gemeinsam überwinden müssen“, erklärt der 57-Jährige am Montag. „Das ist unser erster Test: Zu sehen, ob wir in den kommenden Tagen schlaue Kompromisse finden können, um ein größeres Ziel zu erreichen.“

Kompromisse werden nötig sein – denn Lapid arbeitet an einem ungewöhnlichen Bündnis, das die israelische Presse „Block für den Wandel“ nennt. Nachdem der nationalistische Hardliner Naftali Bennett sich am Sonntagabend zum Eintritt in eine Koalition mit Lapid bereit erklärt hatte, verhandelten beide bis spät in die Nacht über die Bedingungen ihrer Zusammenarbeit. Gestern wurden die Gespräche fortgesetzt. Einigen sich die beiden, brauchen sie noch weitere Stimmen – und setzen dabei auch auf die arabischen Parteien in Israel. Denn sie alle eint ein gemeinsames Ziel: Die Ablösung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, gegen den ein Korruptionsprozess läuft.

Doch es gibt noch jede Menge Konfliktstoff: Bennett, der mit einem Internet-Start-up zum Millionär wurde, steht für national-religiöse Politik, seine Partei gilt als siedlerfreundlich. Durch geschickte Manöver hat er sich in den vergangenen Wochen als „Königsmacher“ inszeniert – und greift nun selbst nach der Macht. Dabei begann er seine politische Karriere einmal als rechte Hand von Netanjahu. Er diente ihm unter anderem als Wirtschafts-, Bildungs- und zuletzt als Verteidigungsminister. Beide überwarfen sich jedoch und gingen getrennte Wege.

Bennett machte in der Vergangenheit mit harten Aussagen Schlagzeilen. Palästinensische „Terroristen sollten getötet und nicht freigelassen werden“, sagt er. Und dass das Westjordanland nicht von Israel besetzt sei, weil „hier niemals ein palästinensischer Staat war“. Die potenziellen Koalitionspartner Meretz und die Arbeitspartei sind hingegen für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates. Die Arbeit der Koalition könnte also kompliziert werden.

Und die Zeit drängt. Lapids Mandat zur Bildung einer Regierung läuft am Mittwoch um Mitternacht aus. Der frühere Finanzminister will bis dahin die Parteien hinter sich versammeln, die inhaltlich weit auseinander liegen. Nach einer offiziellen Verkündung der Koalitionsvereinbarung müsste Lapid dann Präsident Reuven Rivlin informieren und hätte sieben Tage Zeit für die Vereidigung der Regierung im Parlament. Dafür ist eine einfache Mehrheit der 120 Abgeordneten in der Knesset notwendig. Rivlin hatte am 5. Mai Lapid mit der Regierungsbildung beauftragt, Netanjahu war zuvor daran gescheitert.

Sollte es Lapid gelingen, würde es sich bei dem Bündnis vermutlich um eine Minderheitsregierung handeln, die von arabischen Abgeordneten geduldet wird. Medienberichten zufolge plant das Bündnis eine Rotation im Amt des Regierungschefs: Zuerst soll Ex-Verteidigungsminister Bennett für zwei Jahre übernehmen, dann wäre Lapid an der Reihe.

Netanjahus Ära wäre dann hingegen beendet. Der 71-Jährige ist seit 2009 Ministerpräsident. Zuvor stand er bereits von 1996 bis 1999 an der Spitze der Regierung. Damit ist er Israels am längsten amtierender Regierungschef. Doch das Land steckt in einer Dauerkrise. Die vierte Parlamentswahl binnen zwei Jahren hatte Ende März erneut keine klaren Mehrheitsverhältnisse ergeben.  dpa/afp

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