Berlin – Mit dem Auto zur Tankstelle gefahren und dann nicht mehr gewusst, wie man da hin gekommen ist: Auch solche kognitiven Aussetzer können nach Ansicht von Professor Stefan Schreiber die Folge einer Covid-19-Erkrankung sein –auch wenn diese schon Monate zurückliegt und eigentlich mild verlaufen ist.
Der Leiter des Institutes für Klinische Molekularbiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein berichtete am Montag in der Bundespressekonferenz über bisherige Erkenntnisse zu Corona-Spätfolgen und den Forschungsbedarf. Der sei, genau wie die gesellschaftliche Bedeutung von Post-Covid, enorm. Es gebe aber auch schon viele brauchbare Daten, die man nun systematisch auswerten müsse.
Schreiber sieht mittlerweile eine ganze Reihe von möglichen Formen, in denen sich eine frühere Infektion mit dem neuartigen Coronavirus langfristig auf Gesundheit und Lebensqualität auswirken kann: „Das Post-Covid-Syndrom ist nicht einfach eine Verlängerung der Covid-19-Erkrankung, es ist eher als eigenes Krankheitsbild zu sehen, das durch eine vorangegangene Sars-CoV-2-Infektion ausgelöst wird. Darum verwende ich auch ungern den umgangssprachlich verwendeten Begriff Long Covid.“
Die Zahl der Betroffenen sei durchaus hoch, nimmt Schreiber an. Belastbare Daten gebe es zwar noch nicht. Aber bisherige Analysen legten nahe, dass gut zehn Prozent der Infizierten sechs bis zehn Monate nach der Infektion gesundheitliche Probleme hätten, die im Zusammenhang zu sehen seien. Bei bisher 3,5 Millionen Infizierten in Deutschland seien das 350 000 Menschen.
Anett Reißhauer, Leiterin des Bereichs Physikalische Medizin an der Charité in Berlin, befasst sich seit über einem Jahr mit der Rehabilitation nach Corona-Infektionen. Ihre Abteilung kümmert sich teils monatelang um Patienten, die zuvor beatmet werden mussten. Im ambulanten Bereich werden aber auch Menschen versorgt, die ursprünglich nur leichte Symptome hatten. Auch diese Patienten könnten oft „über Monate kein normales Leben führen“, sagt Reißhauer. Häufige Symptome sind Kopfschmerz, Erschöpfung und Kurzatmigkeit. Eine klare Definition des Krankheitsbildes Post-Covid-Syndrom gebe es aber noch nicht.
Nun will man die Unmengen von Patientendaten, die in den Monaten seit Pandemiebeginn an den 36 deutschen Universitätskliniken und anderen Stellen gesammelt wurden, zusammenführen. Unter anderem durch den Abgleich von DNA-Proben will man herausfinden, wem überhaupt Covid-Spätfolgen drohen. Erforscht werden soll auch, wie die Diagnose verbessert und die Genesung unterstützt werden kann. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) verkündete am Montag eine Förderrichtlinie zur koordinierten Auswertung vorhandener Daten.
Mehrere tauend Corona-Infizierte werden bundesweit langfristig wissenschaftlich begleitet, 10 000 seien das Ziel, sagt Schreiber. Mit dieser Stichprobe könne man alle relevanten Fragen zum Post-Covid-Syndrom klären. Noch aber, so Schreiber, habe man „wenige Antworten anzubieten“. STEFAN REICH