Kurswechsel – oder wieder ein Versprecher?

von Redaktion

Rätsel um die Taiwan-Politik des Weißen Hauses – Würde Joe Biden wirklich US-Truppen gegen China einsetzen?

Washington – Eigentlich wollte US-Präsident Joe Biden bei seiner Asienreise wirtschaftliche Kooperation und ein entsprechendes Rahmenabkommen in den Vordergrund stellen. Doch eine einzige Bemerkung, die nach Ansicht von US-Medien als spontan angesehen werden muss, hat diese Absicht torpediert. Und gleichzeitig nicht nur in Washington die Debatte entfacht: Würde der Präsident bei einem Angriff Chinas auf Taiwan tatsächlich US-Truppen direkt gegen China einsetzen – so wie er es in Tokio auf eine Journalistenfrage gesagt hatte?

Das Verhalten von US-Diplomaten während der Pressekonferenz in Japan sei bezeichnend gewesen, heißt es unter Beobachtern. Als Biden die Frage: „Sind Sie willens, sich militärisch zu engagieren, um Taiwan zu verteidigen?“ mit „Ja. Das ist unsere Zusage.“ beantwortet hatte, habe der unruhig auf seinem Stuhl herumrutschende US-Außenminister Antony Blinken sofort nach seinem Telefon gegriffen. Blinken textete vermutlich seinen engsten Mitarbeitern, eine die Präsidentenbemerkung entschärfende Stellungnahme vorzubereiten. Die gab es wenig später, allerdings direkt aus dem Weißen Haus. „Wie der Präsident sagte, hat sich unsere Politik nicht geändert“, hieß es da. Das war natürlich Unsinn, denn aktuell sind nur Waffenlieferungen an Taiwan die politische Grundregel. Dass Biden nun ein direktes militärisches Eingreifen in Aussicht gestellt hat, wäre ein Kurswechsel.

Gleichzeitig ist die Aussage des Präsidenten paradox, denn offiziell gilt weiter die „One China“-Politik in Washington. Was bedeutet: Die USA erkennen weiterhin Taiwan nicht als unabhängigen Staat an. Und dennoch liefern sie – unter Berufung auf ein 1979 erlassenes Gesetz – Taiwan jede Menge Waffen zu Verteidigungszwecken. Kein US-Präsident ist bisher der Versuchung erlegen, Taiwan anzuerkennen und damit die langjährige „One China“-Strategie zu den Akten zu legen. Zu viele Experten warnen, dass dies die Spannungen in der Region massiv erhöhen würde. Deshalb war das Entsetzen im US-Außenministerium und unter Sicherheitsberatern nach Bidens Aussage in Japan auch gut nachvollziehbar.

Wie ernst der US-Präsident seine Worte gemeint hat, ist dabei die Frage aller Fragen. Einiges spricht dafür, dass sich der 79-Jährige spontan und ungeplant sehr weit vorgewagt hat – so wie schon bei anderen Aussagen, die später dann relativiert oder kritisiert wurden. Unvergessen seine Andeutung kurz vor dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, dass ein „geringfügiges Eindringen“ Russlands die Reaktion der USA definieren und diese vermutlich entsprechend klein ausfallen würde. Vor allem in Kiew protestierte man massiv gegen diese Biden-Aussage. Bei seinem Polen-Besuch im März formulierte der Präsident dann ebenfalls spontan, Putin dürfe „um Gottes willen“ nicht an der Macht bleiben. Ein Regimewechsel in Moskau ist allerdings noch keine offizielle Politik der USA, und das Weiße Haus bemühte sich sofort um eine Relativierung der Biden-Worte.

Bezeichnend ist, dass der Präsident ein späteres Abschwächen seiner Aussagen durch Mitarbeiter fast immer hingenommen hat. Das lässt nun auch die Kernfrage in Sachen Taiwan und zu einem möglichen militärischen Eingreifen weiter unbeantwortet. FRIEDEMANN DIEDERICHS

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