Mehr als 100 Millionen auf der Flucht

von Redaktion

Genf – Kriege, Konflikte und Krisen haben die weltweite Flüchtlingskrise weiter verschärft. Erstmals sind mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht, so viele wie nie mindestens seit dem Zweiten Weltkrieg. Gekoppelt mit den explodierenden Lebensmittelpreisen sei das katastrophal, sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD): „Es droht die schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg.“

Auch der Chef des Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Filippo Grandi, betonte, dass der Kampf gegen die wegen des Kriegs drohende Nahrungsmittelknappheit von „größter Bedeutung“ sei, „um zu verhindern, dass noch mehr Menschen fliehen“ müssen. Er verwies insbesondere auf die Krisen am Horn von Afrika und in der Sahelzone. Dort trieben Konflikte, Unsicherheit, schlechte Regierungsführung und die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels Millionen Menschen zur Flucht – bislang überwiegend in andere Landesteile oder Nachbarländer. „Aber ich wäre nicht überrascht, wenn wir mit der zusätzlichen Ernährungsunsicherheit sehen, dass die Menschen die Region verlassen“, warnte Grandi.

Die hohen Lebensmittelpreise werden teils angeheizt durch den russischen Krieg gegen die Ukraine, der den dortigen Export von Getreide und anderem verhindert. Eine Katastrophe sei das vor allem für Entwicklungsländer, die selbst von Armut, Trockenheit und Hunger betroffen seien und zudem Millionen Geflüchtete aufgenommen hätten, sagte Schulze. „Wir sind als Weltgemeinschaft gefragt, in gemeinsamer Verantwortung und Solidarität diese Länder zu unterstützen.“ Deutschland helfe Ländern des Globalen Südens nach dem Anstieg der Weltmarktpreise für Getreide gezielt.

Ukrainer sind innerhalb weniger Wochen zur zweitgrößten Flüchtlingsgruppe der Welt geworden, nach Syrern, berichtete das UNHCR. 4,9 Millionen Menschen flüchteten bislang aus der Ukraine, aus Syrien waren es fast sieben Millionen.

Der Weltflüchtlingsbericht bezieht sich eigentlich immer auf das vorangegangene Jahr. Wegen der dramatischen Folgen des Krieges gegen die Ukraine nannte das UNHCR ausnahmsweise auch die Flüchtlingszahl für Mai 2022, die die 100-Millionen-Marke überschritten hat. Aber auch Ende 2021 sei bereits eine Rekordzahl von Menschen auf der Flucht gewesen: 89,3 Millionen, acht Prozent mehr als ein Jahr zuvor, berichtete das UNHCR. Es waren mehr als doppelt so viele Menschen auf der Flucht wie vor zehn Jahren. Rund 60 Prozent der Vertriebenen fanden Zuflucht anderswo in ihren eigenen Ländern.

„Was wir in der Ostukraine sehen ist sehr brutal und sehr furchteinflößend“, sagte Grandi. Es sei aber fatal, wenn das Augenmerk nur auf die Ukraine gerichtet sei. Es fehlten riesige Geldsummen, um Menschen in anderen Erdteilen zu helfen. Er nannte unter anderem Spannungen in West- und Ostafrika, im Mittleren Osten, die Lage der aus Myanmar vertriebenen Rohingya und die Situation in Südamerika, wo viele Länder Flüchtende aus Venezuela aufgenommen haben.

Deutschland war hinter der Türkei, Kolumbien, Uganda und Pakistan das größte Gastgeberland, mit 1,3 Millionen Aufgenommenen. 87 Prozent aller Flüchtlinge haben in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen Zuflucht gefunden.

Die Krisen werden Grandi zufolge immer vertrackter. Konflikte würden durch wachsende Ungleichheit geschürt. Schlechte Regierungsführung verhindere vielerorts Entwicklung. Der Klimawandel verschärfe etwa den Kampf um Ressourcen, zum Beispiel in der Sahel-Zone in Afrika, was schwelende ethnische Konflikte anheize. Zusammen mit Flüchtlingen, die in ihrer Heimat bedroht sind und nach dem humanitären Völkerrecht schutzbedürftig seien, seien auch immer mehr andere Migranten unterwegs. Viele machten sich aus Verzweiflung, weil sie ihre Familien nicht mehr ernähren könnten, auf die Suche nach einem besseren Leben.  dpa/afp

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