Berlin – Es ist eine Behauptung, die seit der Bundestagswahl durch soziale Netzwerke und private Messenger-Dienste geistert und auch aktuell noch geteilt wird: Angeblich wolle die damalige Kanzlerkandidatin und heutige Außenministerin Annalena Baerbock den Deutschen ihre Haustiere verbieten. Sie erwäge etwa eine CO2-Steuer auf Hund und Katze, um Emissionen zu reduzieren.
Das ist Humbug – oder sachlicher: Fake News, also eine bewusst irreführende Behauptung, die gezielt verbreitet wird, um die Grünen-Politikerin zu diskreditieren. In einem kürzlich erschienenen Report des Thinktanks Club of Rome bezeichnen die Autoren die „kollektive Unfähigkeit, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden“, als „bedeutendste Herausforderung unserer Tage“.
In demokratischen Gesellschaften seien Fehl- und Falschinformationen zumindest bis zu einem gewissen Grad durch Massenmedien eingedämmt worden, heißt es in dem Bericht „Earth for All“. „Die sozialen Medien aber haben dieses Modell zertrümmert. Sie haben eine ganze Industrie der Falsch- und Desinformationen entstehen lassen, was der Polarisierung von Gesellschaften und einem Vertrauensverlust Vorschub leistet und dazu beiträgt, dass wir angesichts der kollektiven Herausforderungen unfähig sind, zusammenzuarbeiten oder uns auch nur über Grundtatsachen zu verständigen.“
Doch warum sind Fake News so erfolgreich? „Der Grund, wieso Menschen Falschinformationen glauben, ist: Weil sie ihnen gerne glauben wollen“, sagt der Politik- und Datenwissenschaftler Josef Holnburger. „Weil sie dadurch einen Schuldigen präsentiert bekommen, oder weil ihre eigene politische Position ihrer Meinung nach die richtige ist.“ Dies gehe so weit, dass einige Desinformation sogar dann teilen, wenn die bereits widerlegt wurde.
Eine solche Desinformation wird von etlichen Nutzern im Netz sofort aufgriffen und diskutiert. Im digitalen Zeitalter, in dem jeder Gehör finden kann, haben es gesicherte Fakten dagegen wesentlich schwerer durchzudringen. Grund hierfür seien unter anderem Empörung und Wut, sagt Holnburger. „Nachrichten, die wütend machen, bringen Menschen eher dazu, sie weiterzuleiten oder auf Social Media zu posten.“
Menschen wollen etwas gegen die behaupteten Missstände unternehmen und teilen derartige Nachrichten eher. Gesicherte Fakten oder Aufklärung über Desinformation – sogenannte Faktenchecks – hingegen erreichen deutlich weniger Menschen, weil sie nur selten jemanden empören oder aktivieren.
Der Tech-Blogger Ben Thompson beschrieb das Phänomen einmal so: „Die Macht hat sich von der Angebots- auf die Nachfrageseite verlagert.“ In anderen Worten: Ob eine Botschaft viele Leute erreicht, hängt nicht mehr davon ab, wer sie verbreitet, sondern wie viele Leute sie hören und weiterleiten wollen.
Der Medienwissenschaftler Martin Doll stimmt zu: „Die technischen Mechanismen von Social-Media-Plattformen zeichnen sich dadurch aus, Posts zu bevorzugen, die am meisten Reaktionen provozieren.“ Dies sorge für eine Verstärkung des Nachrichteneffekts – gerade auch bei Falschinformationen. DANIEL JOSLING