Vorratsdatenspeicherung ohne Anlass ist rechtswidrig

von Redaktion

EuGH kippt umstrittene Regelung in Deutschland – Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Urteil

Luxemburg – Die deutsche Vorratsdatenspeicherung ist mit EU-Recht nicht vereinbar. Ohne Anlass dürften die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger nicht gespeichert werden, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg. Jetzt muss die Bundesregierung entscheiden, wie eine Nachfolgeregelung aussehen könnte. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was hat der EuGH genau entschieden?

Eine anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten – also beispielsweise die Frage, wer wann mit wem von welchem Ort aus telefoniert – ist unzulässig. Eine Ausnahme gilt bei einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit. Der Begriff der nationalen Sicherheit wird aber eng gefasst: Erst im April entschied der EuGH zur Vorratsdatenspeicherung in Irland, dass schwere Straftaten wie Mord nicht darunter fallen. Eine Speicherung der IP-Adressen ist dem Urteil zufolge möglich – allerdings nur zur Bekämpfung schwerer Verbrechen. Der EuGH schiebt der Vorratsdatenspeicherung also keinen endgültigen Riegel vor (C-793/19 und C-794/19).

Wie nützlich ist die Vorratsdatenspeicherung überhaupt?

Befürworter hatten in den vergangenen Jahren vor allem mit dem Nutzen dieses Instruments für die Aufklärung von Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch argumentiert. Denn oft ist die IP-Adresse des Täters, der solche Fotos oder Videos im Internet einstellt und mit anderen tauscht, der einzige Anhaltspunkt für die Ermittler. Ein Großteil der Verfahren wegen sogenannter Kinderpornografie, mit denen sich die deutsche Polizei beschäftigt, wird durch Hinweise der gemeinnützigen Kinderschutzorganisation NCMEC ausgelöst. In drei von vier Fällen lässt sich bereits jetzt – ohne die anlasslose Vorratsdatenspeicherung – der Täter ermitteln. Schätzungen zufolge würde die Erfolgsquote auf mehr als 90 Prozent steigen, wenn man zusätzlich Zugriff auf automatisch gespeicherte Daten von Telekommunikationsunternehmen hätte.

Wie handhaben die anderen EU-Staaten die Vorratsdatenspeicherung?

Die Vorratsdatenspeicherung ist überall ein heißes Eisen. Viele EU-Mitgliedstaaten wenden eine Form der Vorratsdatenspeicherung an oder arbeiten dazu Gesetze aus. Vor dem EuGH landeten in den vergangenen Jahren immer wieder Regelungen.

Was bedeutet das Urteil für Polizei und Staatsanwaltschaften?

Für sie ändert sich wohl zunächst einmal gar nichts. Denn die alte Regelung war in Deutschland ohnehin ausgesetzt. Und ein neues Gesetz gibt es noch nicht.

Wird es in Deutschland ein neues Gesetz geben?

Der Ball liegt jetzt beim Gesetzgeber. Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, sagte: „Verkehrsdaten sind in vielen Fällen ein wichtiger Ansatzpunkt für die Strafverfolger, um die Täter einer Straftat zu ermitteln.“ Daher sei die Bundesregierung jetzt gefordert, die Vorgaben des Gerichtshofs rasch in eine rechtssichere und praxistaugliche Neuregelung zu übertragen. Wie lange es dauert, bis ein neues Gesetz kommt, ist offen.

Welche Spielräume eröffnet der Richterspruch?

Das Urteil erlaubt für einen „auf das absolut Notwendige begrenzten Zeitraum eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung der IP-Adressen“, die Rückschlüsse auf den Nutzer zulassen. Allerdings stehen FDP und Grüne sowie einige führende SPD-Politiker bisher auf dem Standpunkt, dass man über das, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, nicht hinausgehen will. Dort heißt es, man wolle „die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“. Die Union fordert Innenministerin Nancy Faeser (SPD) unterdessen dazu auf, die Spielräume, die das Urteil bei der Einführung einer Mindestspeicherung von Internet-Verbindungsdaten zur Bekämpfung schwerster Kriminalität für einen begrenzten Zeitraum bietet, auszuschöpfen.

R. WANK, A.-B. CLASMANN

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