„Sozialtourismus“: Merz entschuldigt sich

von Redaktion

Ärger über Interview des CDU-Vorsitzenden – Verweis auf stark steigende Gesamtzahlen

Berlin – Es raucht nach einem Interview von Friedrich Merz. Weil er Ukraine-Flüchtlingen „Sozialtourismus“ vorgeworfen hat, geht über dem CDU-Chef eine Welle von Kritik nieder. Wenige Stunden nach dem Interview und wenige Minuten nach dem dazugehörigen Tweet entschuldigte sich Merz öffentlich.

Der Partei- und Fraktionsvorsitzende hatte „Bild TV“ gesagt: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ Der Hintergrund laut Merz: Anfangs hatten Ukraine-Flüchtlinge Anspruch auf Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – seit Juni erhalten sie Grundsicherung, also die gleichen Leistungen wie Hartz-IV-Empfänger.

Wenig später ruderte er zurück. „Wenn meine Wortwahl als verletzend empfunden wird, dann bitte ich dafür in aller Form um Entschuldigung“, verbreitete der 66-Jährige. „Ich bedaure die Verwendung des Wortes ,Sozialtourismus‘. Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems.“ Sein Hinweis „galt ausschließlich der mangelnden Registrierung der Flüchtlinge. Mir lag und liegt es fern, die Flüchtlinge aus der Ukraine, die mit einem harten Schicksal konfrontiert sind, zu kritisieren.“ Er bleibe aber bei der Warnung, dass es „zunehmende Probleme mit der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen und Asylbewerbern“ gebe. Die Zahl 200 000 werde wohl heuer insgesamt überschritten.

Ob es Abzocke-Fälle von Ukrainern gibt, ist fraglich. Es gebe „keine Erkenntnisse zu einer größeren Problematik oder zu einem systematischen Leistungsmissbrauch“, teilt Bayerns Sozialministerium, CSU-geführt, auf Anfrage unserer Zeitung mit. Das bezieht sich auf die Grundsicherung für Arbeitssuchende, die den ukrainischen Flüchtlingen offensteht. Nach jüngsten Zahlen sind 31 000 Ukrainer in Bayern arbeitssuchend gemeldet.

Woher hat Merz also seine Informationen? Intern wird gemutmaßt, er sei womöglich auf digitale Kettenbriefe und Falschnachrichten hereingefallen. Von Unionspolitikern sind sehr vorsichtige Reaktionen zu hören. „Er hat es korrigiert, und damit ist es auch erledigt“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: „Es kann auch mal ein Satz danebenliegen. Das muss man nicht auf die Goldwaage legen.“ In der CSU hat man Erfahrungen mit einem ähnlichen Wort: Parteichef Markus Söder sprach 2018 von „Asyltourismus“, was er heute offen bereut.

Die anderen Parteien werfen Merz vor, mit Rechtspopulismus vor der Niedersachsen-Wahl Stimmungen schüren zu wollen. „Er will bewusst einen politischen Kulturkampf vom Zaun brechen und mit immer neuen Grenzverschiebungen den Diskurs nach rechts verschieben“, kritisiert die SPD-Abgeordnete Katja Mast. „Das kennen wir bislang nur von der AfD.“ Seine Entschuldigung sei „halbherzig“. Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann nennt Merz’ Äußerung „anstandslos und schäbig“, seine Erklärung sei „windelweich“. FDP-Fraktionschef Christian Dürr bezeichnet Merz’ Vorwurf als „absolut deplatziert“. „Die Menschen aus der Ukraine kommen zu uns, weil sie vor Putins brutalem Krieg fliehen. Viele haben alles verloren und bangen um ihre Angehörigen.“

J. BLANK / C. DEUTSCHLÄNDER

Artikel 1 von 11